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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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wieder stützte er die Schußhand auf seinem linken Arm auf. Fast mit jedem Schuß traf er Kopf oder Brust der Pappfigur.
    Es könnte sein, daß ich auch von seinen Schießübungen angenommen hätte, daß sie nur unserem Schutz galten, wenn er mir nicht einige Monate danach eine Frage gestellt hätte, die Anlaß zu einer merkwürdigen Diskussion gab. Irgendwann fragte er mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn Nicolai bei einem Unfall ums Leben käme.
    „Wie ausmachen?“
    „Na ja, wärst du traurig, wärst du froh, wäre es dir egal?“
    „Besonders traurig wäre ich nicht, aber es würde Florian auch nicht wieder lebendig machen.“
    Ich sah ihn forschend an. „Du planst doch hier nicht irgendwas, Michael, oder, wir haben gerade etwas Ruhe in unser Leben gebracht, dir geht es gesundheitlich wieder besser, du ...“
    Er wich meinem Blick aus und wehrte ab.
    „Nein, nein, es war nur eine Frage, vergiß es.“
    Heute wundere ich mich, warum er mir nicht offen sagte, was er im Sinn hatte. Ich hätte sowieso nicht viel dagegen unternehmen können. Ich habe Michael noch nie von einem Vorsatz abbringen können. Er dachte wahrscheinlich, daß er mir nicht trauen könnte. Aber mich erschreckt schon lange nichts mehr. Wenn er damals die Katze aus dem Sack gelassen hätte, dann wäre mir das lieber gewesen als seine dunklen Andeutungen, seine philosophischen Fragen und seine Vorbereitungen im Hintergrund.

Kapitel 21          
    Im Dezember 1998 nahm ich an einem Seminar in München teil. In dem Hotel, in dem die Vorträge stattfanden, lagen Münchner Zeitungen aus, sonst hätte ich vielleicht nie davon erfahren. Als ich während einer Pause die Todesanzeigen überflog, blieben meine Augen an einem Namen hängen: Andrea Zitzelsberger. Wir bedanken uns bei allen , stand da, die unserer lieben Verstorbenen, die unter so tragischen Umständen von uns gehen mußte, das letzte Geleit gegeben haben .
    Nicolais Verteidigerin und spätere Ehefrau war tot. Es war jetzt vier Jahre her, daß sie Nicolai verteidigt hatte. Danach hatte ihre Heirat mit Nicolai noch einige Monate lang für Schlagzeilen gesorgt, aber seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört. Und nun war sie tot. Aus war es mit dem charmanten Augenaufschlag, vorbei mit den bayerischen Nobeltrachten, aus und vorbei mit den unzähligen Anträgen bei Gericht, die immer darauf abzielten, den Prozeß zu unterbrechen, zu verzögern und es Richtern und Staatsanwaltschaft so schwer wie möglich zu machen. Dr. Regine Zitzelsberger, Mutter, Paula Zitzelsberger, Schwester , stand unter der Anzeige. Rosenkranz im Kloster Schäftlarn am kommenden Samstag abend . Das war alles. Kein Lebensgefährte, keine Kinder. Nicolai, mit dem sie inzwischen verheiratet war, wurde nicht einmal genannt. Kein Wort darüber, daß Deutschlands berühmteste Strafverteidigerin, die Frau, die der weibliche Bossi genannt wurde, gestorben war. Im Vergleich mit den anderen Traueranzeigen war diese geradezu klein und unauffällig.
    Ich trauerte ihr keinen Moment nach. Sie hatte uns das Leben schwer genug gemacht. Aber irgend etwas an dieser allzu dürren Anzeige machte mich stutzig. Sie konnte eines natürlichen Todes gestorben sein, ganz klar. Sie war genau in dem Alter, in dem eine Menge Männer und immer mehr Frauen an Herzinfarkt oder Krebs sterben, ganz besonders solche, die eine Menge Streß haben. Zumindest redete ich mir das einen Abend lang vor dem Fernseher in meinem Hotelzimmer ein, aber wirklich glauben konnte ich es nicht. Irgend etwas an dieser Anzeige war merkwürdig. Die unter so tragischen Umständen von uns gehen mußte , stand da. Wieso tragische Umstände? Und unter welchen genau? So etwas schreibt man eigentlich nur, wenn jemand bei einem Unfall tödlich verunglückt ist oder Opfer eines Verbrechens wurde.
    Am nächsten Tag fragte ich an der Rezeption, ob sie alte Zeitungen im Hotel aufheben würden: Ja, die Süddeutsche . Besser als nichts. Im Wertstoffraum neben der Wäschekammer lagen die Ausgaben der SZ über vier Wochen zurück. Ich mußte nicht lange suchen. Am neunten Dezember konnte man im München-Teil lesen: Münchener Prominentenverteidigerin stirbt beim Joggen - Herzinfarkt . Im dem ganzen Artikel stand kaum mehr als in der Überschrift. Andrea Zitzelsberger war in der Vorwoche, nicht weit von ihrer Kanzlei in Bogenhausen, zum Joggen gegangen, nicht mehr nach Hause zurückgekehrt und als vermißt gemeldet worden. Zwei Tage später hatten Spaziergänger sie in
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