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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Autoren: Dan Simmons
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war.
    Martin Silenus machte eine ausholende Gebärde. »Ich wurde als Lutheraner getauft«, sagte er. »Einer Untersekte, die nicht mehr existiert. Ich habe mitgeholfen, die Zen-Gnostik zu begründen, bevor euer aller Eltern geboren waren. Ich war Katholik, Offenbarungsprediger, Neo-Marxist, Interface-Fanatiker, Bound Shaker, Satanist, Bischof der Kirche von Jake's Nada und zahlendes Mitglied des Beglaubigten Reinkarnations-Instituts. Jetzt, kann ich voller Freude sagen, bin ich ein simpler Heide.« Er lächelte allen zu. »Für einen Heiden«, fuhr er fort, »ist das Shrike eine höchst akzeptable Gottheit.«
    »Ich schenke Religionen keine Beachtung«, sagte Brawne Lamia. »Ich verfalle ihnen nicht.«
    »Ich glaube doch, daß ich deutlich machen konnte, worum es mir geht«, sagte Sol Weintraub. »Keiner von uns gesteht ein, daß er sich dem Dogma des Shrike-Kults unterwirft, und doch haben die Ältesten dieser scharfsichtigen Gruppe uns aus vielen Millionen gläubigen Bewerbern ausgesucht, die Zeitgräber zu besuchen ... und ihren Gott des Zorns ... möglicherweise die letzte Pilgerfahrt überhaupt.«
    Der Konsul schüttelte den Kopf. »Sie haben vielleicht deutlich gemacht, worum es Ihnen geht, M. Weintraub«, sagte er, »aber ich verstehe es nicht.«
    Der Gelehrte strich sich geistesabwesend über den Bart. »Es hat den Anschein, als wären unsere Gründe, nach Hyperion zurückzukehren, so zwingend, daß selbst die Kirche des Shrike und die Geheimdienste der Hegemonie der Meinung sind, wir haben es verdient, nochmals zurückzukehren«, sagte er. »Manche dieser Gründe – meine, zum Beispiel – dürften öffentlich bekannt sein, aber ich bin sicher, daß generell keine in allen Einzelheiten bekannt sind, außer den Individuen an diesem Tisch. Ich schlage vor, wir erzählen uns unsere Geschichten in den wenigen Tagen, die uns noch bleiben.«
    »Warum?« fragte Oberst Kassad. »Es dient keinem ersichtlichen Zweck.«
    Weintraub lächelte. »Im Gegenteil, es würde uns – im geringsten Fall – amüsieren und uns Einblicke in die Seelen unserer Mitreisenden gewähren, bevor das Shrike oder ein anderes Unheil über uns kommt. Darüber hinaus könnte es uns vielleicht gerade genügend Einblicke gewähren, unser aller Leben zu retten, wenn wir intelligent genug sind, den Faden gemeinsamer Erfahrungen zu finden, der unsere Schicksale ausnahmslos mit den Launen des Shrike verbindet.«
    Martin Silenus lachte leise und machte die Augen zu. Er sagte:
     
    »Straddling each a dolphin's back
    And steadied by a fin,
    Those innocents relive their death,
    Their wounds open again.«
     
    »Auf Delphins Rücken saßen sie,
    unschuldig obenauf,
    Erlebten ihren Tod nochmals,
    Und ihre Wunden brachen wieder auf.«
     
    »Das ist Lenista, richtig?« sagte Pater Hoyt. »Ich habe sie im Seminar studiert.«
    »Fast«, sagte Silenus, schlug die Augen auf und schenkte sich mehr Wein ein. »Es ist Yeats. Der Kerl hat fünfhundert Jahre vor dem Augenblick gelebt, als Lenista an der Metallzitze ihrer Mutter gesaugt hat.«
    »Hört zu«, sagte Lamia, »was hätte es für einen Sinn, uns Geschichten zu erzählen? Wenn wir dem Shrike begegnen, erzählen wir ihm, was wir wollen, einem von uns wird sein Wunsch gewährt, die anderen sterben. Korrekt?«
    »So will es die Legende«, sagte Weintraub.
    »Das Shrike ist keine Legende«, sagte Kassad. »Und sein Stahlbaum auch nicht.«
    »Also warum sollten wir uns mit Geschichten langweilen?« fragte Brawne Lamia und spießte das letzte Stück Schokoladenkäsekuchen auf.
    Weintraub strich zärtlich über den Hinterkopf seines schlafenden Kindes. »Wir leben in seltsamen Zeiten«, sagte er. »Weil wir Teil des Zehntels eines Zehntels des einen Prozents der Bürger der Hegemonie sind, die zwischen den Sternen reisen, und nicht im Netz, repräsentieren wir vergangene Epochen unserer eigenen jüngsten Vergangenheit. Ich, zum Beispiel, bin achtundsechzig Jahre alt, aber aufgrund der Zeitschuld, die meine Reisen aufgehäuft haben könnten, könnten sich diese drei mal zwanzig und acht Jahre gut und gerne über mehr als ein Jahrhundert Hegemoniegeschichte erstrecken.«
    »Und?« sagte die Frau neben ihm.
    Weintraub breitete die Arme zu einer Geste aus, die alle am Tisch einschloß. »Unter uns repräsentieren wir Inseln der Zeit und darüber hinaus unterschiedliche Ozeane der Wahrnehmung. Oder, besser ausgedrückt, jeder von uns könnte ein Teil des Puzzles besitzen, das niemand lösen konnte, seit die
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