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Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman

Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman

Titel: Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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und wie lange? Hastig wischte sie sich die Tränen weg, als seine Schritte sich der Tür näherten, die nun polternd aufflog. Kurt schreckte aus dem Schlaf hoch und begann zu wimmern. Lena drückte sich weiter an die Wand und blickte ihrem Stiefvater entgegen.
    »Zieh dich an, Mädchen, und komm raus.« Dann schloss er die Tür wieder und verließ hörbar die Hütte.
    »Scht … schlaf weiter, es ist alles gut«, raunte Lena ihrem weinenden Bruder zu, griff zitternd nach ihrem Kleid und zog es über den Kopf. Dann schlüpfte sie in die Leinenschuhe, stand auf, streichelte Kurt liebevoll über den Kopf und deckte ihn wieder zu. Er blickte sie mit großen Augen an, nickte aber brav und kroch näher an seinen größeren Bruder heran, welcher immer noch tief schlummerte oder es zumindest vorgab.
    Zögerlich öffnete sie die Tür zur elterlichen Wohnkammer. Die Wärme der immer brennenden Feuerstelle schlug ihr entgegen. Wie üblich hing ein Topf darüber, in dem heißes Wasser dampfte. Lenas Mutter kniete auf dem mit Stroh ausgelegten Lehmboden. Ihr Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.
    Lena streckte die Hand aus und berührte sie sachte an der Schulter, worauf ihre Mutter zusammenzuckte und erschrocken den Kopf hob. Einen kurzen Moment sahen sie einander an, dann senkte die Mutter den Blick, und ein Schwall Tränen rann über ihre Wangen. Selten hatte Lena sie weinen sehen. Selbst bei den beiden Totgeburten letztes und vorletztes Jahr hatte sie unerschütterlich gewirkt.
    »Mutter, wohin wird er mich bringen. Was habe ich getan?«
    Ihre Mutter schüttelte den Kopf, schob sich die losen dunklen Haare wieder nach hinten und riss Lena plötzlich in ihre Arme. Eine Weile hielten sie sich fest umklammert. Lena atmete ihren Geruch ein. Etwas Blütenduft, Kräuter, frische Wäsche und Honig. Dann straffte die Mutter sich und schob Lena um eine Armlänge von sich. Sie spürte den weichen Stoff der Schürze in ihrem Gesicht, mit der die Mutter ihr und dann sich selbst die Tränen abwischte. Anschließend fuhr ihre Mutter ihr mit der Hand über den Kopf.
    »Wie lang dein Haar geworden ist«, sagte sie verträumt. »Du hast nichts getan, sei unbesorgt.« Sie schluckte. »Er wird dich nach Bremen bringen.«
    »Aber warum und zu wem?« Bremen, eine große Stadt voller Farben und buntem Treiben, voller Menschen, die dicht zusammenlebten. Unzählige Kirchen, Gerüche und Musik. Auch wenn es verlockend klang, konnte Lena sich nicht vorstellen, von ihrer Familie getrennt zu sein.
    Gedankenverloren sah ihre Mutter in die Feuerstelle, ehe sie antwortete. »Du bist jetzt erwachsen und musst für deinen Lebensunterhalt selbst sorgen, darum wird er dich in die Stadt bringen. Dort wirst du leben und …«, sie stockte einen Moment. »… und arbeiten. Du wolltest doch immer nach Bremen, oder?«
    Lena nickte langsam. Tatsächlich hatte sie jedes Mal von der Stadt geschwärmt, wenn ihr Stiefvater auf dem Bremer Markt seine Fackeln verkaufte und sie dabei sein durfte. Ihren Brüdern erzählte sie dann immer, dass sie eines Tages dort leben würde. Die beiden größeren Brüder lachten sie aus, aber Lena liebte die Vorstellung. Jetzt allerdings fühlte es sich nicht wie ein schöner Traum an.
    »Aber Mutter, wer wird dir hier helfen und sich um Kurt kümmern?«
    Kurt, Lenas jüngster Bruder, war schwach, er litt an einem Husten und konnte nicht wie die anderen bei den täglichen Aufgaben helfen. Weil er nach der Geburt beinahe gestorben wäre, hatte Lena ein innigeres Verhältnis zu ihm als zu den größeren Brüdern. Ihre Mutter hatte zudem keine Milch gehabt, eine Amme konnten sie sich nicht leisten. So hatte Lena ihn gewärmt und mit einer Engelsgeduld mit Ziegenmilch gefüttert. Erst hatte es so ausgesehen, als ob er sie nicht vertragen würde, aber nach und nach war er kräftiger geworden.
    »Deine größeren Brüder müssen eben deine Aufgaben übernehmen. Sorge dich nicht um uns.«
    Der Gedanke, dass Hubert den Stall ausmisten würde, erheiterte sie ein wenig.
    »Eins musst du mir versprechen. Weine nie vor einem Mann.«
    Lena wusste, warum ihre Mutter ihr dieses Versprechen abnehmen wollte. Wenn jemand in dieser Familie weinte, wurde er meistens hart vom Stiefvater dafür bestraft. Auch Lena hatte es einige Male am eigenen Leib erfahren. Er hasste es, wenn jemand so verweichlicht war, dass er eine Träne vergoss.
    »Ja, Mutter, ich verspreche es.«
    Diese lächelte Lena aufmunternd zu. »Hol deinen Schal und sei leise, damit
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