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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse
Autoren: Pamela Freeman
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Die Büchse war von ihrem Kopf abgeprallt und irgendwo in ihrer Nähe gelandet. Vorsichtig tastete Bramble nach ihr. Der Felsboden unter ihr war mit Knochen bedeckt. Ob es Actons oder Tierknochen waren, wusste sie nicht.
    Während sie mit der linken Hand auf die Zunderbüchse stieß, ertastete sie mit der rechten einen Knochen mit einer glatten Oberfläche … abgerundet, mit Löchern. O Götter, es war ein Schädel. Sie ergriff die Zunderbüchse, doch ihre Hände zitterten zu sehr, als dass sie den Knoten hätten lösen können. Sie stellte sie auf den Boden neben ihrem Fuß und langte erneut nach dem Schädel. Seinem Schädel. Der
Knochen fühlte sich an wie mit Staub bedeckte Seide. Sie wischte ihn an ihrer Hose ab, um ihn vom Staub zu befreien, und nahm ihn dann in beide Hände. Sie beugte den Kopf hinab, bis ihre Stirn die seine berührte.
    Er war tot. Noch vor ein paar Stunden hatte er gelebt und sie angelächelt. Aber nun war er tot. Er war die ganze Zeit tot gewesen und hatte hier gelegen, das Fleisch war zu Staub geworden. Es war nichts von ihm geblieben als Knochen. Er war tot, und sie würde ihm nie wieder begegnen.
    Ein Kummer überwältigte sie, schlimmer als der um den Rotschimmel, den Jäger und sogar um Maryrose. Dieser tiefe Kummer brannte in ihr, und ihr stockte der Atem, sodass sie glaubte zu ersticken, zu sterben. Der Schmerz war so unerträglich, dass ihre Augen trocken blieben, und dann erkannte sie ihn. Diesen Kummer hatte sie schon einmal empfunden, als sie in Piper gewesen war und diese Salmons Geist angeschaut hatte. Dies war der Kummer, den nur Liebe verursachen konnte.
    Allein in der Dunkelheit sitzend, hielt sie den Schädel in ihren Händen und wiegte sich hin und her. Sie gab sich der Erinnerung an ihn hin, denn Erinnerung war das Einzige, was ihr bleiben würde. Nie wieder würde sie einen Menschen so lieben können wie Acton, als dieser sie in diesem einen Moment am Hügel mit einer solchen Verheißung, einer solchen Wonne angelächelt hatte. Sie erinnerte sich lebhaft an ihn, wie sein goldenes Haar im Sonnenschein geglänzt hatte, wie auf seinem Bart kleine goldene Flecken schimmerten, seine Augen leuchtend und voller Schalk, sein Mund voller Verlangen. Nach ihr. Nach ihr, nicht nach Wili oder Friede oder dem Mädchen auf dem Berg. Er hatte sie angelächelt, erst vor zwei Stunden.
    Und nun war er tot, und seine Knochen waren so trocken wie ihre Augen.

Saker
    Unbesiegbar. Sie waren unbesiegbar. Den ganzen Tag über fielen die Leute des Kriegsherrn oder rannten vor ihnen davon. Sie kauerten sich hinter verschlossenen Türen zusammen oder sie flehten um Gnade, bevor der tödliche Hieb sie ereilte. Nichts konnte sie mehr retten.
    Saker selbst war unverwundbar - geschützt nicht nur von den unsterblichen Männern, sondern auch von den Windgeistern. Geschützt vor Bogenschützen, geschützt vor Klingen, geschützt vor Hieben. Unbesiegbar.
    Der Sieg gab ihm Auftrieb, versetzte ihn in Hochstimmung, ließ ihn überschwänglich werden, endlich befreit von jeder Furcht. Er hatte geglaubt, die Windgeister fürchten zu müssen, doch sie hatten ihm das Leben gerettet. Die Götter waren wahrhaftig bei ihm und unterstützten ihn. Sie hatten die Windgeister geschickt.
    Er ließ den Karren auf dem Hügel hinter sich stehen und nahm nur den Korb mit den Knochen und die Schriftrollen mit. Nun, da er entdeckt worden war, musste er sich bis zum nächsten Mal verstecken. Sie würden Wachen aufstellen, um zu verhindern, dass jemand Knochen ausgrub. Diese Armee war alles, was er besaß, und wahrscheinlich auch alles, was er für den Moment bekommen konnte. Doch sie reichte aus.
    Sie reichte für Sendat aus. Reichte aus, um die Festung des
Kriegsherrn zu schleifen und jeden darin zu töten. Reichte aus, um alle Waffen zusammenzutragen, die sie benötigten.
    Danach würde Turvite an die Reihe kommen. Er würde Alder, seinen Vater, erwecken, damit er an diesem großartigen Kampf teilnehmen konnte.
    Als sich der Tag dem Ende näherte, stieß Saker auf eine verlassene Wassermühle, deren Wasserlauf ausgetrocknet war. Er versteckte die Knochen unter dem vermodernden Rad, bevor er sich im Speicher der Mühle verkroch. Owl kam mit ihm. Sie schauten aus dem Fensterschlitz auf das vermeintlich friedliche, fruchtbare Land, das golden im letzten Licht der Sonne dalag. Owl grinste grimmig und machte eine weit ausholende Geste. Dann verblasste er allmählich, dabei nach wie vor lächelnd.
    »Ja«, bestätigte Saker,
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