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Die Homoeopathie-Luege

Die Homoeopathie-Luege

Titel: Die Homoeopathie-Luege
Autoren: Nicole Heissmann , Christian Weymayr
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Torturen im Namen Äskulaps überlebten nur die Robustesten.
Unwissend, aber überzeugt
    Wie kam es zu diesem krassen Missverhältnis von Unwissenheit und Handlungseifer? Wie konnten die damaligen Ärzte ihre Patienten nur so martern? Die Antwort klingt banal, hat aber weitreichende Implikationen auch für die Medizin der Gegenwart: Die Mediziner waren überzeugt davon, das Richtige zu tun. Sie unternahmen in ihren Augen das Menschenmögliche, um ihren Patienten zu helfen. Je schlechter es den Kranken ging, desto intensiver – aus heutiger Sicht gewalttätiger – mussten folglich die Therapien sein.
    Zweifel kamen offenbar den wenigsten. Warum auch? Erstens hielten sie sich an die Lehren der als unfehlbar geltenden Ärzte der Antike, zweitens taten sie das, was alle Kollegen taten, und drittens sahen sie ja immer wieder, dass ihre Behandlungen zum Erfolg führten: Wenn ein Patient die Torturen überlebte, werteten sie das als Beweis für die Nützlichkeit ihrer Therapie. Wenn er starb, war die Krankheit wohl doch so stark gewesen, dass selbst ihre Therapie nichts ausrichten konnte. Ihnen wäre vermutlich nie in den Sinn gekommen, dass es genau umgekehrt war: Dass die meisten Patienten überlebten, obwohl sie behandelt wurden, und dass sie starben, weil sie behandelt wurden. Der Historiker David Wootton bringt es auf den Punkt, wenn er sagt ( Bad Medicine , Oxford University Press, 2006): »Seit 2400 Jahren glauben die Menschen, dass Ärzte ihnen Gutes tun. 2300 Jahre lang irrten sie sich.«
    Die Überzeugung, das Richtige zu tun, war so stark, dass Gelegenheiten, innezuhalten und das eigene Tun grundsätzlich infrage zu stellen, immer wieder ungenutzt verstrichen. So entdeckte bereits im Jahr 1537 der junge französische Feldarzt Ambroise Paré durch ein Versehen, dass man Wunden nicht, wie es damals Stand der Kunst war, mit kochendem Öl ausbrennen, sondern besser nur mit einem kühlenden Umschlag verbinden sollte. Trotz dieser auch für ihn bestürzenden Erkenntnis war er ansonsten ein »aktiver« Arzt. So riet er bei Zahnschmerzen, eine Knoblauchzehe in Asche zu erhitzen und so heiß wie möglich auf den wehen Zahn und ins Ohr zu legen sowie Urin zu trinken, der über Nacht in einer Barbierschüssel gestanden hatte. Auch ein Zeitgenosse Parés, der legendäre Arzt Paracelsus, warnte davor, Wunden auszubrennen, doch statt generell behutsamer vorzugehen, schwor er auf ein Einreiben der Wunde mit »Mumienbalsam«, einer Salbe aus Frauenmilch und Leichenteilen.
Zweifel und Selbstkritik in der Medizin
    Es ist durchaus nachvollziehbar, wenn ein Arzt sein bisheriges Tun mit Zähnen und Klauen verteidigt. Denn es ist für ihn, der ständig über Wohl und Wehe oder gar Leben und Tod entscheidet, tatsächlich ein gewaltiger Schritt, einen Fehler einzusehen und den Gedanken an sich heranzulassen, einem Menschen geschadet oder gar seinen Tod verantwortet zu haben. So ist die mangelnde Fehlerkultur heute ein immer wieder thematisiertes, großes Problem in der Medizin. Und wie viel schwerer muss ein grundsätzlicher Irrtum wiegen. Schließlich hat ein Fehler zwar unter Umständen verheerende Konsequenzen für einen einzelnen Patienten, unter einem grundsätzlichen Irrtum in der Medizin leiden aber Unzählige.
    Wie sehr das Einsehen eines Irrtums einen Arzt erschüttern kann, zeigt das Beispiel des Frauenarztes Gustav Adolf Michaelis. Er nahm sich das Leben, als er erkannte, dass er – jedoch unwissentlich – den Tod vieler Patientinnen, darunter den seiner eigenen Nichte, verschuldet hatte: Sein Zeitgenosse Ignaz Semmelweis hatte nachgewiesen, dass bereits bloßes Händewaschen der Ärzte vor der Untersuchung von Wöchnerinnen diese vor tödlichen Infektionen bewahrt. Nicht jeder ist wie Michaelis bereit, sich solch bitteren Wahrheiten zu stellen. Es ist auch heute noch menschlich nachvollziehbar, wenn ein Arzt den Beweisführungen der Wissenschaft, wenn sie sein Tun infrage stellt, misstraut, die »eigene Erfahrung« über alles stellt und nur sie als letzte Entscheidungsinstanz gelten lässt. Wie wenig ihn das jedoch vor Irrtümern schützt, darauf werden wir vor allem in Kapitel 3 zurückkommen. Zunächst aber möchten wir festhalten, dass sich über all die Jahrhunderte Mediziner auf ihre »eigenen Erfahrungen« beriefen, auch wenn sie ihre Patienten zu Tode marterten.
    Es
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