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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Autoren: Ted Chiang
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waren mit Dolerithämmern, Bronzewerkzeug und Holzkeilen beladen. Ihr Vorarbeiter hieß Senmut, und er beriet sich mit Beli, dem Vorarbeiter aus Elam, darüber, wie sie das Himmelsgewölbe durchstoßen wollten. Die Ägypter wie auch die Männer aus Elam bauten aus dem, was sie mitgebracht hatten, eine Schmiede, um das Bronzewerkzeug, das durch die Arbeiten stumpf werden würde, neu gießen zu können.
    Das Gewölbe selbst blieb weiter knapp über ihren ausgestreckten Fingerspitzen; wenn jemand hochsprang, um es zu berühren, fühlte es sich glatt und kühl an. Es schien aus feingemahlenem weißen Granit zu bestehen, und seine Oberfläche war vollkommen gleichmäßig. Doch das war das Problem.
    Vor langer Zeit hatte Jahwe die Sintflut ausgelöst und dabei zugleich die Fluten aus den Höhen und den Tiefen entfesselt; die Wasser des Abgrundes waren aus den Quellen der Erde geströmt, und die Wasser des Himmels regneten aus den Schleusen des Himmelsgewölbes hernieder. Nun jedoch betrachteten die Menschen das Gewölbe genau und konnten keine Schleusentore erkennen. Sie nahmen die Oberfläche in alle Richtungen in Augenschein, aber keine Öffnungen, keine Fenster, keine Fugen unterbrachen die Granitfläche.
    Allem Anschein nach traf ihr Turm an einer Stelle zwischen den Speichern auf das Gewölbe, was in der Tat eine glückliche Fügung war. Wäre da ein Schleusentor gewesen, hätten sie riskieren müssen, es aufzubrechen und den Speicher zu leeren. Das hätte für Shinar Niederschlag bedeutet, außerhalb der winterlichen Regenzeit und weit heftiger; entlang des Euphrats würde das für Überschwemmungen sorgen. Wahrscheinlich würde dieser Regen aufhören, wenn der Speicher ausgelaufen wäre, aber es bestand die Möglichkeit, dass Jahwe sie bestrafen und für weiteren Regen sorgen würde, bis der Turm zusammenstürzte und Babylon sich im Schlamm auflöste.
    Obschon es keine sichtbaren Schleusentore gab, bestand immer noch ein gewisses Risiko. Vielleicht waren die Fugen der Tore für sterbliche Augen nicht zu sehen, und sie befanden sich doch unmittelbar unter einem Speicher. Oder vielleicht waren die Speicher so riesig, dass sie sich selbst dann, wenn die nächste Schleuse sehr weit von ihnen entfernt war, immer noch unter dem Wasser befanden.
    Es wurde viel darüber gesprochen, wie man am besten vorgehen sollte.
    »Jahwe wird den Turm sicherlich nicht hinfortschwemmen«, behauptete Qurdusa, einer der Maurer. »Wäre der Turm ein Sakrileg, dann hätte Jahwe ihn schon längst zerstört. Und doch haben wir in all den Jahrhunderten unserer Arbeit niemals die geringsten Anzeichen für Jahwes Missgunst bemerkt. Wenn wir in einen Speicher eindringen, wird Jahwe zuvor das Wasser ableiten.«
    »Wenn Jahwe tatsächlich so wohlwollend auf unser Vorhaben blicken würde, gäbe es bereits eine fertige Treppe, die ins Gewölbe führen würde«, entgegnete Eluti, ein Mann aus Elam. »Jahwe wird uns weder helfen, noch uns aufhalten; falls wir in einen Speicher eindringen, werden wir eine Sturzflut auslösen.«
    Da konnte Hillalum seine Zweifel nicht für sich behalten. »Und was, wenn das Wasser kein Ende nimmt?«, fragte er. »Jahwe mag uns nicht bestrafen, doch er mag es zulassen, dass wir uns selbst richten.«
    »Mann aus Elam«, sagte Qurdusa, »selbst als Neuankömmling auf dem Turm solltest du es besser wissen. Wir strengen uns an, weil wir Jahwe lieben, wie wir es unser ganzes Leben lang getan haben, so wie unsere Väter seit Generationen. Über Männer, die so rechtschaffen sind wie wir, wird nicht so streng geurteilt.«
    »Es ist wahr, dass wir uns mit den lautersten Absichten mühen, aber das heißt nicht, dass wir auch weise wären. Haben die Menschen wirklich den rechten Weg gewählt, als sie beschlossen, ihr Leben fern der Krume, aus der sie geschaffen wurden, zu leben? Jahwe hat nie gesagt, dass unsere Wahl richtig war. Nun sind wir hier, bereit, das Himmelsgewölbe aufzubrechen, obwohl wir wissen, das sich über uns Wasser befindet. Wenn wir irren, wie können wir dann sicher sein, dass Jahwe uns vor unseren eigenen Fehlern beschützt?«
    »Hillalum rät zur Vorsicht, und ich stimme ihm zu«, sagte Beli. »Wir müssen dafür sorgen, dass wir keine zweite Sintflut über die Welt bringen und auch keine gefährlichen Regenfälle über Shinar. Ich habe mich mit dem Ägypter Senmut beraten, und er hat mir Entwürfe gezeigt, die sie genutzt haben, um die Gräber ihrer Könige zu versiegeln. Ich glaube, ihre Methoden bieten uns
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