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Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)

Titel: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (German Edition)
Autoren: Ted Chiang
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die nötige Sicherheit, wenn wir mit dem Graben beginnen.«
     
    Die Priester opferten den Ochsen und die Ziege in einer Zeremonie, bei der viele heilige Worte gesprochen und viel Weihrauch verbrannt wurden, und die Bergarbeiter begannen ihr Werk.
    Lange, bevor die Arbeiter das Gewölbe erreichten, war augenfällig geworden, dass einfaches Graben mit Hämmern und Hacken nicht viel bringen würde: Sie wären kaum mehr als zwei Fingerbreit am Tag vorangekommen, selbst wenn sie waagerecht gegraben hätten, und senkrecht nach oben ging alles noch viel langsamer. Stattdessen entschied man sich dafür, es mit Feuer zu versuchen.
    Mit dem Holz, das sie mitgebracht hatten, wurden unter der ausgewählten Stelle des Gewölbes Feuerstellen errichtet und tagelang ununterbrochen unterhalten. Über den heißen Flammen knackte und platzte der Stein. Nachdem sie das Feuer hatten ausgehen lassen, spritzten die Arbeiter Wasser auf den Stein, um ihn weiter bersten zu lassen. Dann konnten sie den Stein in großen Stücken herausbrechen, die schwer auf den Turm fielen. Auf diese Art kamen sie an jedem Tag, an dem das Feuer brannte, fast eine Elle voran.
    Der Tunnel führte nicht gerade nach oben, sondern in einem für Treppen üblichen Winkel, sodass sie vom Turm aus eine Stufenrampe bauen konnten. Das Feuer machte die Wände und den Boden glatt; die Männer errichteten also ein Gestell aus hölzernen Stufen, damit sie nicht wieder nach unten zurückrutschten. Außerdem bauten sie ein Podest aus gebrannten Ziegeln, auf dem sie das Feuer am Ende des Tunnels entzündeten.
    Als der Tunnel zehn Ellen weit in das Gewölbe reichte, blieben sie auf derselben Höhe und erweiterten ihn zu einem kleinen Raum. Nachdem die Bergarbeiter jeglichen von der Hitze geplatzten Stein entfernt hatten, übernahmen die Ägypter. Sie benutzten kein Feuer für ihren Abbau. Nur mit ihren Dolerithämmern machten sie sich daran, eine Schiebetür aus Granit zu konstruieren.
    Zuerst schlugen sie den Stein weg, um einen großen Block aus Granit aus der Wand zu schneiden. Hillalum und die anderen Bergarbeiter versuchten zu helfen, aber das war schwierig für sie: Man konnte den Stein nicht wegschleifen, sondern nur mit einer bestimmten Schlagtechnik absplittern – zu starke oder zu schwache Schläge führten zu nichts.
    Nach einigen Wochen war der Block fertig. Er war mehr als mannsgroß und sogar noch breiter. Um den Block aus dem Boden zu befreien, meißelten sie Schlitze in die Basis des Steins und hämmerten trockene Holzkeile hinein. Dann schlugen sie dünnere Keile in die ersten Holzkeile, um diese zu spalten, und gaben Wasser in die Risse, sodass das Holz aufquoll. Nach ein paar Stunden pflanzten sich die Risse in den Stein fort, und der Block löste sich.
    Am Ende der Kammer, auf der rechten Seite, brannten die Bergarbeiter einen engen, aufwärts führenden Korridor heraus und einen abwärts verlaufenden direkt in den Boden vor dem Eingang des Raumes. So führte nun eine glatte Rampe durch den Raum, die direkt links vor dem Zugang zur Kammer endete. Auf diese Rampe hievten die Ägypter den Granitblock. Sie zogen und schoben den Block den Korridor an der Seite hinauf, in den er gerade so hineinpasste, und befestigten ihn, indem sie von links nach rechts flache Erdziegel übereinanderstapelten, wie eine Säule, die auf der Rampe lag.
    Da nun ein Schiebestein bereitlag, der das Wasser aufhalten würde, war es für die Arbeiter sicher, den Tunnel zu verlängern. Falls sie einen Speicher aufbrechen würden und Himmelswasser hineinströmen würde, könnten sie die Erdziegel einen nach dem anderen zerschlagen, der Block würde abwärtsgleiten und in der kleinen Aussparung zur Ruhe kommen – und damit den Eingang völlig versiegeln. Falls das Wasser mit solcher Wucht herabstürzen würde, dass es die Männer aus den Tunneln hinausspülte, würden sich die Erdziegel langsam auflösen, und der Block ebenfalls wiederum hinabgleiten. Die Flut wäre aufgehalten, und die Bergarbeiter könnten, um den Speicher zu umgehen, in eine andere Richtung einen neuen Tunnel beginnen.
    Wieder zündeten die Bergarbeiter ein Feuer an, um den Tunnel fortzusetzen. Um die Luftzirkulation im Gewölbe zu befördern, wurden Rinderhäute beiderseits des Tunneleingangs auf hohen, schrägen Gestellen aufgehängt. So wurde der stete Wind, der unter dem Gewölbe wehte, in den Tunnel umgeleitet; der Wind fachte das Feuer an und lüftete den Tunnel und die Kammer, nachdem das Feuer gelöscht worden
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