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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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noch nicht gewonnen, Lapidius, noch lange nicht.« Er wandte sich der Magd zu. »Marthe, wenn ich sage ›jetzt‹, bist du wieder wach – ›jetzt‹.«
    Ein leichter Ruck ging durch Marthes Kopf. Sie blickte sich um. In ihre Augen trat Erkennen, und mit dem Erkennen schrie sie auf. »Ogottogott, wassis denn …« Hastig schloss sie ihre gespreizten Beine. Wieder kreischte sie, diesmal wohl aus Beschämung.
    Lapidius übertönte sie. »Steh auf, Marthe, sofort.« Marthe schluckte. »Seid Ihrs, Herr? Seid Ihrs wirklich? Wassis bloß alles passiert, ich …«
    »Los, los! Mach schon. Und ihr drei bleibt, wo ihr seid. Auf den Boden mit euch, bäuchlings, und die Hände auf den Rücken! « Lapidius richtete unmissverständlich die Pistole auf die Teufel. Endlich taten sie wie ihnen geheißen. Gesseler machte den Anfang, Gorm und Fetzer folgten seinem Beispiel.
    »Fessele ihnen die Hände, Marthe, rasch! Tauwerk liegt genügend herum! «
    Marthe war j etzt völlig wach. »Ja, Herr, j a doch! Wassollas bloß alles, ogottogott, wennich das Traute Schott erzähl …« Doch während sie plapperte, folgte sie Lapidius’ Anweisungen. Sie begann mit Fetzer und fesselte dann Gorm. Und als sie sich Gesseler widmen wollte, geschah es:
    Der Erste Sohn des Teufels sprang auf und warf blitzschnell ein Pulver in die Flammen. Lapidius blieb keine Zeit, zu überlegen, woher er es so plötzlich hatte, denn es gab einen gewaltigen Feuerball, der ihm die Augen verblitzte. Dazu kam ein ohrenbetäubender Knall. Marthe schrie auf wie am Spieß. Schwefliger Geruch überdeckte die Weihrauchdünste. Als Lapidius wieder sehen konnte, glaubte er zunächst, sich zu irren. Doch er täuschte sich nicht: Der Stadtmedicus war wie vom Erdboden verschluckt. Lapidius überlegte fieberhaft. Gesseler konnte nicht fort sein. Es war unmöglich. Die einzige Erklärung war, dass er sich in einem der toten Gänge befand, denn an ihm, Lapidius, hatte er nicht vorbeikommen können. Ja, so musste es sein.
    Gorm und Fetzer lagen nach wie vor am Boden, wirkten jetzt aber viel lebendiger als vorher. Vielleicht hatte der Knall sie aus ihrem Zustand erweckt. Sie begannen sich mit ihren Fesseln zu beschäftigen. »Macht uns frei«, verlangte der Schreiber, während Taufliebs Hilfsmann bereits wie ein Berserker an seinen Stricken zerrte. »Macht uns frei!«
    »Ich denke nicht daran. Komm her zu mir, Marthe! Los, wir verschwinden.« Er griff sie bei der Hand und zog sie mit sich. »Los, los!«
    »Ogottogott, Herr!« Auf dem Weg nach draußen nahm Lapidius im Laufen die zurückgelassene Laterne auf. »Komm schon, Marthe, weiter, weiter! « Trotz des Lichts stieß er sich wiederholt schmerzhaft, während er Hals über Kopf voranstürmte. Endlich erreichte er den Ausgang, Marthe mehr stolpernd als laufend hinter sich.
    Als Lapidius aus der Höhle kletterte, fiel bereits das erste fahle Dämmerlicht auf die Hänge des Oberharzes. Es schien ganz so, als zöge erneut ein wunderbarer Tag herauf. Doch Lapidius hatte keinen Sinn für die Schönheiten der Natur, ihm stand ein Bild vor Augen: das Bild, wie Gorm an seinen Stricken zerrte. Der Koloss mit seiner brachialen Kraft würde früher oder später die Fesseln sprengen und sie mit seinen Kumpanen verfolgen. Und dann? Sollte er Taufliebs Hilfsmann erschießen? Nein, er konnte es nicht. Er war dazu einfach nicht in der Lage. Dasselbe galt für den Schreiber und sogar für den übelsten aller Teufel, den Stadtmedicus Gesseler.
    Aus den Nebeln der Nacht tauchte der riesige, runde Fels auf – und mit ihm plötzlich eine Idee: Wenn es gelang, den Brocken vor den Höhleneingang zu rollen, würden die Meuchler im Berg gefangen sein. Alle drei, auch Gesseler, der Teufel, der irgendwo da drin noch frei herumlief. »Komm, Marthe, komm! « Er zog sie zu der winzigen Plattform, auf der die Felsmassen ruhten, und stemmte sich mit der Schulter dagegen. »Mach mit, Marthe, drück, drück … so drück doch!«
    Es hatte keinen Zweck. Er hätte es wissen müssen. Natürlich war der Fels zu schwer. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als mit Marthe weiterzulaufen und dabei zu hoffen, dass die Teufel sich nicht so bald befreiten. Dabei hatte er sich vorher alles so genau überlegt. Er hatte die Meuchler mit der Waffe bedrohen und sich gegenseitig fesseln lassen wollen, bevor er nach Kirchrode zurückging und Alarm schlug. Anschließend wäre es ein Leichtes gewesen, die Filii Satani zu verhaften – direkt am Ort ihrer abscheulichen
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