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Die Hitzkammer

Die Hitzkammer

Titel: Die Hitzkammer
Autoren: Wolf Serno
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aufs Wort. Jedenfalls untersuchte ich den Totenkopf und fand heraus …«
    »… dass Bockshörner in ihm steckten! Ha, welch großartige Leistung!« Gesseler stieß ein unartikuliertes Prusten aus. »Und welch scharfsinniger Schluss von Euch, dass demzufolge ein hornloser Bock in Kirchrode herumlaufen musste. Euer Pech war allerdings, dass es nicht nur einer war, der Euch bei Eurer Suche über den Weg lief, sondern viele. Nun ratet einmal, wer dafür gesorgt hat? Ich war es. Ich, der Erste Sohn des Teufels!«
    Lapidius dachte alles andere als gern an jenen erfolglosen Tag zurück, deshalb redete er schnell weiter, dabei die aufwändigen Untersuchungen an Taufliebs Bohrer überspringend: »… ich fand heraus, dass die Löcher im Stirnbein nicht von einem normalen Schlosserwerkzeug stammen konnten. Dafür sprach der Bohrabfall, der beim Schneiden eines jeden Lochs entsteht. Im Falle des Frauenkopfes handelte es sich um feinstes Knochenmehl – und nicht um Späne. Ein klarer Hinweis darauf, dass hier ein ganz besonderer Bohrer zum Einsatz gekommen war: ein Trepan.
    Euch als Medicus muss ich nicht lange erzählen, dass der Trepan ein zur medizinischen Schädelöffnung geschaffener Zylinder ist, dessen eines Ende in scharfe, feinstes Bohrmehl hinterlassende Zähne ausläuft. Und da niemand außer Euch in Kirchrode einen solchen Bohrer besitzen dürfte, musstet Ihr es sein, der hinter all den Teufeleien steckt. Wobei ich einräume, bis zu dieser Erkenntnis auch den Apotheker Veith stark im Verdacht gehabt zu haben, aber Pharmazeuten besitzen nun einmal keine Trepane.«
    Gesseler, der am Anfang von Lapidius’ Erklärungen noch hin und wieder gekichert hatte, schwieg j etzt. Auch der Zweite und der Dritte Sohn des Teufels waren stumm. Sie bildeten ohnehin nur Beiwerk.
    »Als ich mir dessen sicher war, Herr Stadtmedicus, erklärte sich alles wie von selbst. Zum Beispiel Eure übersteigerte Liebe zur Geschlechtlichkeit, der man in Eurem Wohnraum auf Schritt und Tritt begegnet: Ich nenne nur das Bildnis des Vesalius mit dem von Euch rot beschmierten Genital, die Marmorexponate in Form von Geschlechtsteilen sowie die präparierten Hoden und Penisse in Äthanol.
    Es machte plötzlich Sinn, dass Ihr krank wart, als Freyja Säckler unter der Folter ohnmächtig zusammenbrach. Denn hättet Ihr sie behandelt, hätte sie Euch womöglich erkannt und entlarvt. Es machte plötzlich Sinn, dass Ihr die Leiche der Korbmacherin Gunda Löbesam, die Euch zur Untersuchung überantwortet worden war, ganz offenkundig nicht angerührt habt. Warum? Weil Ihr den Zustand ihres Leibes schon kanntet. Es war Euch unangenehm, noch einmal den Körper anzusehen, den Ihr in Wahn und Rausch zerstörtet! Es machte plötzlich Sinn, dass Ihr zu jenen gehört, die sich beim Apotheker Veith Mittel besorgen, welche die Manneskraft stärken. Es machte plötzlich Sinn, dass es in dieser Höhle einen Hirschfänger mit den Buchstaben DRJG gibt – DRJG wie Doktor Johannes Gesseler.«
    Der Stadtmedicus kniff unmutig die Augen zusammen. »In der Tat wisst Ihr mehr, als ich Euch zugetraut hätte. Aber Eure scharfsinnigen Geistesübungen werden Euch nichts nützen, denn j etzt seid Ihr mein, und was ich mit Euch mache, entscheide ich allein. Ich lasse Euch töten, denn Ihr habt durch Eure Anwesenheit Luzifers Höhle entweiht.«
    »Töten?«, wiederholte Gorm dumpf. »Töten? Ja, Meister!« Der Riese trat einen Schritt auf Lapidius zu, wurde jedoch von Gesseler zurückgehalten.
    Lapidius war noch nicht fertig. »Ihr, Herr Doktor Gesseler, empfindet im wahrsten Sinne des Wortes teuflische Freude daran, Frauen zu schänden. Junge, schöne Frauen, die unerreichbar für Euch wären, wenn Ihr es nicht verstündet, sie in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen. Nur so könnt Ihr sie Euch zu Willen machen und anschließend, im Augenblick ihrer größten Demütigung, mit blitzendem Messer töten lassen. Ihr seid krank, Gesseler! Krank! Aber Ihr habt nicht die Fallsucht, wie Ihr vorzugeben beliebt. Ich merkte es schon bei unserer ersten Begegnung, als Ihr mir versichertet, Ihr nähmet nichts gegen dieses Leiden ein. Ihr, ein approbierter Medicus!«
    Gesseler erwiderte nichts. Aber Lapidius sah, wie ihm der Kamm schwoll.
    »Ihr behauptetet, gerade einen Krampfanfall gehabt zu haben, aber Ihr hattet Euch nicht auf die Zunge gebissen und blutetet keineswegs – der Zungenbiss aber ist eine Begleiterscheinung, die bei solcherart Anfallen stets aufzutreten pflegt. Ebenso wie der
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