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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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mehr begreifen will.« Kämpferisch schüttelte er die greise Faust. »Ich habe es an meinen Schülern studieren können. Wenn sie zu mir in die Klasse kamen, waren die meisten von ihnen schon ganz und gar verdorben. Allen voran die Jungen. Diese einfältigen Eltern, die sie haben groß werden lassen in dem Glauben, es sei an sich schon ein Wert, ein Junge zu sein.« Er lachte auf. »Wie soll man solch ein eitles Geschöpf noch dazu bringen, dass es erkennt, dass es seinen Wert erst schaffen muss.« Er stach in die Luft. Und fiel in einen sachlichen Tonfall zurück. »Einige wenige gab es natürlich immer, die verständigere Eltern hatten, um die war es besser bestellt. Ihnen habe ich mich gewidmet. Mit ihnen habe ich schöne Erfolge erzielt.« Die Erinnerung ließ ihn lächeln.
»Aber dann, dann kamen diese Jungen in die Jahre, in denen die Natur erwachte. Die Natur, die in jedem Mann erwacht. Und da musste ich einsehen, von Jahr zu Jahr mehr, was ich schon am eigenen Leib nur allzu schmerzlich erfahren hatte: Ein Mann wird sich der Natur niemals ganz entreißen lassen. Die Natur ist zu mächtig in ihm.«
    Kyra konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
    Die buschigen Augenbrauen, die sich über der schwarzen Brille wölbten, zuckten. »Ich war verzweifelt. Die ganze Menschheit wollte ich in den Orkus schicken. Aber dann kam mir ein Gedanke.«
    Verwundert beobachtete Kyra, wie das faltige Gesicht aufblühte.
    »Die Mädchen, die ich in der Schule unterrichtete, machten in jenen Jahren viel geringere Veränderungen durch. Die Natur wirkte viel schwächer in ihnen. Mit ihnen hatte ich mich nie beschäftigt, da sie im Allgemeinen ohne geistigen Ehrgeiz zu mir kamen. Aber zum Geistigen konnte man sie erziehen, wenn man rechtzeitig damit begann. Das gab mir die Hoffnung: Vielleicht konnte es doch noch ein Geschöpf geben, das den Gipfel der Vollkommenheit jemals erreichen würde: die perfekt erzogene Frau.«
    Er machte eine große Pause, um das Gesagte wirken zu lassen.
    »Ich habe gewartet, bis ich in den Ruhestand versetzt wurde, damit ich dem Werk meine ganze Aufmerksamkeit widmen konnte.«
    Kyra runzelte die Stirn. Ohne dass sie es gemerkt hatte, war sie an die vorderste Sesselkante gerückt. »Und in welchem Labor haben Sie sich Ihr Werk züchten lassen?«
    »Labor.« Er schnaufte abfällig. »Ich habe Anzeigen aufgegeben. Viele Frauen haben sich bei mir gemeldet, die bereit waren, das Gefäß zu sein, in dem meine Tochter heranwachsen würde. Natürlich habe ich ihnen viel Geld angeboten. Und dennoch war es schwierig, die Richtige zu finden.
Wie Sie ja bereits wissen, halte ich nichts von der Natur und von all diesem Gerede über Gene, aber gerade deshalb war es wichtig, eine Frau zu finden, die nicht schon von Natur verdorben war.«
    »Sie haben eine Frau dafür bezahlt, sich von Ihnen schwängern zu lassen?«
    Er wischte ihre Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. »Selbstverständlich kam nur eine Frau in Betracht, bei der ich sicher sein konnte, dass sie später keine Schwierigkeiten machen und Anspruch auf mein Kind erheben würde. Schließlich fand ich ein einfaches Mädchen aus Griechenland. Farblos. Unverdorben. Unverbildet. Das ideale Gefäß. Ich ließ sie hierher bringen.« Er räusperte sich. »Die erste Schwangerschaft war ein Junge. Ich habe sie ins Krankenhaus geschickt. Doch schon beim zweiten Versuch ist es geglückt. Nike entstand.« Er lehnte sich ein wenig zurück. Und faltete die knotigen Hände im Schoß.
    »Unmittelbar nach der Geburt wurde Nike an eine Amme übergeben. Das griechische Mädchen bekam sein Geld und kehrte in sein Dorf zurück. Die ersten Monate waren die schwierigsten. Es war nicht leicht, überhaupt eine Amme zu finden, die ich mit Nikes Pflege betrauen konnte. Und dann musste ich jeden Monat eine neue suchen. Keine durfte länger als vier Wochen in Nikes Nähe bleiben. Jede engere Bindung an eine dieser Frauen hätte Nike für immer verdorben.« Er redete sich in neue Begeisterung hinein. »Als Nike drei wurde, konnte ich mein eigentliches Werk beginnen. Nike war reif für die geistige Erziehung. Mit Griechisch haben wir angefangen, Griechisch ist die Grundlage von allem. Als Nike fünf war, sprach sie diese Sprache fließend, mit sieben konnte sie Homer lesen. Dann folgte Latein, Seneca, Horaz, Vergil. Mit acht kannte sie sich aus in der gesamten antiken Kunst, Literatur und Geschichte.«
    »Und warum hat sie dann kein Abitur gemacht?« Die
Merkwürdigkeit, über
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