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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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sich da herangezüchtet haben, ist keine niedliche kleine Göttin auf Menschenbeinen. Das ist Frankensteins Tochter.«
    »Sie sind krank. Sie sind krank.« Was er sagte, war kaum noch zu verstehen, so heftig sog er zwischen jeder Silbe die Luft ein. »Verschwinden Sie. Lassen Sie uns in Frieden.«
    »Wo ist sie?«
    »Gehen Sie weg«, keuchte er. »Gehen Sie weg. Sie werden es bereuen, wenn Sie nicht gehen.« Sein magerer Leib bog sich von den Fußspitzen bis zum Hals. Er stürzte aus dem Rollstuhl. Er fasste sich ans Herz. Die schwarze Brille rutschte von seiner Nase.
    »Wo steckt Ihre verdammte Tochter!«
    »Ein großes Unglück wird über Sie kommen. Gehen Sie. Gehen Sie. Ich sehe es voraus.«
     
    Kyra schlug die Augen auf. Ihr Schädel klingelte. Als ob der Milchmann da wäre. Oder der Weihnachtsmann. Der
Weihnachtsmann, der ihr seine Rute über den Kopf gehauen hatte. Sie ließ die Lider herunterfallen.
    War sie zu Hause? Nein. So viel hatte sie gesehen. Der Raum war weiß. Sie hatte Fenster mit weißen Vorhängen gesehen. Einen weißen Schrank. Und einen weißen Schreibtisch. Das Bett, in dem sie lag, war furchtbar schmal. Sie kicherte. Ich seh etwas, was du nicht siehst. Vielleicht war sie auf einem Kindergeburtstag.
    Von irgendwoher hörte sie ein schleifendes Geräusch.
    Sie öffnete nochmals die Augen. Kurz. Der Blick durch die weißen Vorhänge sagte ihr nichts. Irgendeine Häuserwand. Komm schon, gib mir noch nen Tipp.
    Rechts von ihr war eine Wand. An der Wand hing ein Bild. Auf dem Bild waren zwei Tempel zu sehen. Griechische Tempel -
    »Warum haben Sie meinen Vater getötet?«
    Kyra stieß einen Schrei aus. Sie warf den Kopf herum. In die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Auf einem Stuhl vor einer Spiegelkommode saß sie. Die Herzlose. Mit dem Rücken zu ihr. Im ersten Moment hätte Kyra sie fast nicht wiedererkannt. Ihre Haare waren kupferrot. Nackenlang.
    »Du - du«, stammelte Kyra, »wieso hast du dir die Haare gefärbt?«
    Die andere schwieg. Nichts außer dem schabenden Geräusch.
    Kyra wollte sich aufsetzen. Erst jetzt merkte sie, dass sie ans Bett gefesselt war. Mit Händen und Füßen. Wütend zerrte sie an den Ketten.
    »Was soll das? Mach mich sofort los.«
    Die andere schwieg. Nur das Geräusch.
    »Bist du taub? Du sollst mich losmachen, du kranker Bastard.«
    »Warum haben Sie das getan?« Die Stimme der anderen war ruhig. Furchtbar ruhig.

    Plötzlich erkannte Kyra das Geräusch. Das Geräusch, das sie viel früher hätte erkennen müssen. Es ist ein Schnitter, heißt der Tod. Klinge auf Wetzstahl. Das einzige Lied, das ihr die Mutter vorgesungen hatte. In ihren Ohren begann es zu sausen.
    »Was tust du da?«
    »Es war ein großes Unrecht, das Sie begangen haben.«
    »Ich habe gar nichts begangen. Mach mich los.«
    »Sie haben meinen Vater getötet.«
    »Ich habe deinen Vater nicht getötet.«
    »Er ist tot. Durch Ihre Schuld.«
    Kyra schloss die Augen und zwang sich, ruhig zu atmen. Ein. Aus. Ein. Aus. Aus. Aus. Aus . »Nike. Es tut mir Leid, dass dein Vater tot ist. Aber ich kann nichts dafür. Er war sehr alt. Er hätte viel früher sterben können.«
    »Er ist jetzt gestorben. Es ist Ihre Schuld.«
    »Nike. Er war wahnsinnig. Sei froh, dass er tot ist.«
    »Sprechen Sie nicht so von meinem Vater.« Zum ersten Mal wurde die Stimme böse.
    »Es ist krank, was er mit dir gemacht hat.«
    Langsam drehte sich Nike auf ihrem Stuhl um. Sie war schön mit dem kupferroten Pagenschnitt. Mit dem transparenten weißen Chiffonkleid. Mit dem langen Messer in ihrem Schoß. »Haben Sie mir nicht von Ihrer Mutter erzählt? Ich dachte, Sie würden mehr verstehen.« Es klang enttäuscht.
    Kyra begann zu zittern. »Meine Mutter war vollkommen anders. Meine Mutter hat mich nicht zu einem so kaputten Geschöpf gemacht, das - das -« Sie verstummte. In ihrem Kopf tauchten Bilder auf. Bilder von Franz. An alles konnte sie sich erinnern. An alles.
    »Warum hast du es getan?«, fragte sie heiser.
    »Was?« Die andere wetzte das Messer.
    »Den Männern die Köpfe abgehackt. Ihre Hirne gesammelt.«

    »Ich habe ihnen geholfen. Sie waren nicht glücklich. Sie hatten alle gute Hirne. Aber sie waren nicht kalt genug. Sie waren verfleischt. Ich musste sie von ihrem Fleisch befreien, damit ihre Hirne leben konnten.«
    Kyra rang sich ein kurzes Lachen ab. »In Einmachgläsern?«
    Nike fuhr herum. Ihre Augen funkelten zornig.
    »Ich war bei dir zu Hause. Ich habe alles gesehen«, sagte Kyra. Es gelang ihr,
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