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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Autoren: Thea Dorn
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ruhig zu bleiben. »Sind es nur diese vier? Oder gibt es noch mehr?«
    Nike schaute sie an, als ob sie die Frage nicht verstanden hätte.
    »War Robert Konrad der Erste, den du umgebracht hast?«
    Die Kleine lächelte. Wie durch einen Schleier hindurch. »Ich habe Robert Konrad nicht umgebracht. Ich habe nichts getan, was er nicht auch gewollt hatte. Wir haben über die Liebe gesprochen. Über die Antike. Und wie schön es sein muss, wenn die Antike und die Liebe zusammenkommen.« Sie verstummte.
    »Ich verstehe nicht ganz«, hakte Kyra nach. Solange die Herzlose redete, hörte sie auf, das Messer zu wetzen.
    »Robert Konrad wollte, dass wir Antike spielen.«
    »Antike spielen?«
    »Ja. Aber er hat nicht verstanden, worum es dabei wirklich geht. Er dachte nur an die schmutzigen Dinge.«
    »Du meinst, er hat versucht, dich zu vögeln? Mit Homer auf dem Schoß?«
    Nike ruckte ärgerlich mit den Schultern. »Warum reden Sie so? Ich weiß nicht, was Sie mit diesen Wörtern meinen.« Sie zog die Klinge wieder über den Wetzstahl.
    Knorpelmesser, schoss es Kyra plötzlich durch den Kopf, die Kleine verwendete ein Knorpelmesser, wie es ihre Mutter beim Leichenaufschneiden verwendet hatte.
    Ihr Atem ging schneller. »Hast du ihn umgebracht, weil du nicht wolltest, dass er dir an die Wäsche geht?«
    »Er wollte Dinge tun, die nicht gut sind. Ich weiß nicht, was das für Dinge sind, ich weiß nur, dass sie nicht gut sind.« Die Kleine prüfte mit dem Daumen, ob die Klinge bereits scharf genug war. »Es liegt an der Wärme. Schon die Griechen haben gewusst, dass ein Zuviel an Wärme den ganzen Körper in Unordnung bringt. Die Wärme kommt aus dem Herzen, die Kälte aus dem Gehirn. Wenn ein Gehirn zu warm ist, kann es den Körper nicht mehr regieren. Das Gehirn muss kalt sein. Kalt und empfindungslos. Das kälteste Organ, damit es die Hitze des restlichen Körpers bezwingen kann.«
    Kyra hatte die Augen wieder geschlossen. In ihrem Kopf war nichts als Schwarz. Und das Schwarz drehte sich. »Warum Franz?«
    Es gab eine Pause. »Er war wie die anderen. Am Anfang habe ich geglaubt, er wäre nicht so. Aber dann ist es gewesen wie immer.«
    »Nein, verdammt, er war nicht wie die andren.« Kyra riss die Augen auf. Zu spät erinnerte sie sich daran, dass sie gefesselt war. Die Schellen schnitten ihr in die Handgelenke. »Er war der Beste, der mir jemals begegnet ist.«
    Die Kleine stand auf. Sie betrachtete sich im Spiegel. »Sie wollten doch auch nicht, dass er Sie anfasst.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es.« Sie lächelte. Traurig. »Aber wir haben jetzt keine Zeit mehr.«
    Mit einer einzigen Bewegung streifte sie sich die kupferroten Haare vom Kopf. Was darunter zum Vorschein kam, war nur noch weiß und glatt und rund.
    Sie sah Kyra im Spiegel an. »Gucken Sie nicht so entsetzt.« Sie streichelte sich über den kahlen Schädel. »In Wahrheit ist es sehr praktisch, keine Haare zu haben. Man kann Perücken tragen.«
    »Du - du - du hattest die ganze Zeit -«
    »Sie meinen, ob ich noch nie Haare hatte? Doch. Von drei
bis dreizehn hatte ich Haare. Sehr viele Haare. Blonde Haare.«
    »Aber wieso... ?«
    » Aber wieso, aber wieso «, äffte sie Kyra nach. »Effluvium .« Sie lachte. »So hat es angefangen. Alopecia areata totalis . Können Sie Latein? - Ihr Griechisch ist übrigens grauenvoll.« Sie fasste sich an die Augenlider. »Dann sind mir die Wimpern ausgegangen -«, sie riss sich die geschwungenen Wimpern herunter, »- und dann die Brauen. Bis an meinem ganzen Kopf kein einziges Haar mehr war.« Sie lachte. »Und dann -, sie fasste das weiße Chiffonkleid am Saum und hob es hoch, »- Alopecia areata universalis .« Stolz ließ sie es wieder fallen. »Verlust der gesamten Körperbehaarung.«
    Kyra blinzelte. Hatte sie eben dasselbe gesehen, was Franz gesehen hatte, im letzten Augenblick, bevor er gestorben war? Hatte er sterben müssen, weil er der Göttin unters Kleid geschaut hatte?
    »Kann man denn nichts gegen diese Krankheit machen?« Zeit. Zeit. Zeit gewinnen.
    »Sie verstehen wirklich gar nichts. Das ist keine Krankheit. Das ist eine göttliche Auszeichnung. Genau wie Epilepsie. Die Griechen haben Fallsüchtige als Heilige verehrt. Nur heute sind alle so dumm und sperren sie als Kranke in irgendwelche Häuser ein.«
    »Nike. Ich habe nie gesagt, dass du krank bist. Du sollst nicht eingesperrt werden.«
    Kyra holte tief Luft. Sie schloss für einen Moment die Augen. Ein letzter Versuch. Eine letzte Chance.
    Sie
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