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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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habe dich nicht gesucht.«
    Die Gestalt nickte. »Ja. Du warst schon immer sehr geschickt darin, Ausflüchte zu finden, Schamane. Dabei weißt du doch seit einer ganzen Zeit, dass wir uns eines Tages wieder begegnen würden.«
    »Wieder begegnen …« Zakaan fühlte, wie ihn der ferne Hauch der Vergangenheit streifte. Er sah sich selbst am Fluss stehen, er betrachtete den Strom, der erst viele, viele Sommer später versiegen sollte, in einer Zeit, die länger von diesem Augenblick entfernt war als eine gewöhnliche Lebensspanne. Damals war noch alles friedlich gewesen – friedlich und einfach. Nicht weit entfernt vom Fluss hatten Schafe gegrast, von der Wiese daneben war das Blöken der Kälber zu ihm herübergeweht, und vom Dorf her Kindergeschrei und das Lachen der Frauen, die auf dem Dorfplatz gesessen hatten, um ihren alltäglichen Verrichtungen nachzugehen. »Ich glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind.«
    »Du glaubst es nicht nur«, hauchte die mädchenhafte Gestalt, »du weißt es sogar.«
    Zakaan kniff die Augen zusammen. Ja. Sie hatte auf der gegenüberliegenden Seite des Ufers gesessen, doch damals war sie ihm nicht mädchenhaft erschienen, damals war sie eine erwachsene Frau für ihn gewesen.
    Plötzlich erschien wieder alles so nah, dass er das Gefühl hatte, ganz und gar in die Vergangenheit einzutauchen. Er spürte die sanft wärmende Sonne auf seiner Haut, hörte das Zirpen der Grillen und das leise Rascheln der Blätter und Zweige in der lauen Brise, die über das fruchtbare Land strich, und all die unbekümmerten Laute des träge dahinlaufenden Dorflebens. Es war damals eine so unbeschwerte Stimmung gewesen, dass er jetzt laut hätte aufschreien können.
    Was, ihr Götter, hatte er nur verloren? Die Unbeschwertheit der Jugend war Stück für Stück unter der Last des Lebens weggebrochen, und sie war durch Ernsthaftigkeit ersetzt worden, durch den Willen zur Macht, das brennende Verlangen, seinem Volk zu helfen, wo und wie auch immer das möglich sein mochte. Und jetzt war er alt, fast gebrochen durch das Leid, das seinem Volk wie eine Strafe auferlegt worden war. Wenn es ihm nicht gelang, endlich das Richtige zu tun, würde er bis zu seinem Lebensende mit ansehen müssen, wie alles verloren ging, was von den Generationen vor ihm aufgebaut worden war.
    Er verschluckte den Schrei, der sich aus seiner Kehle drängen wollte. Es war schrecklich, den Verlust der kindlichen Unbekümmertheit so schlagartig vor Augen geführt zu bekommen, und es war unglaublich, dass er nun wieder einer Erscheinung begegnete, die ihn damals, als Kind, so aufgeschreckt hatte.
    Aber all das spielte keine Rolle. Es ging nur darum, alles zu tun, was er tun konnte, um seinem Volk zu helfen.
    »Du hast mich gesucht«, wiederholte die mädchenhafte Gestalt.
    »Nein, das habe ich nicht«, widersprach Zakaan. »Du bist gekommen, ohne dass ich dich gerufen hätte.« Er zögerte, bevor er die nächste Frage aussprach. »Was wolltest du damals von mir?«
    »Das Gleiche wie jetzt«, antwortete die Gestalt.
    Zakaan nickte. Es war genau die Art von Antwort, mit der er hatte rechnen müssen.
    »Schickt dich Ygdra?«
    Die Gestalt antwortete nicht, und eigentlich war das Antwort genug.
    Nein, Ygdra, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens hatte sie nicht geschickt. Das hätte sie auch gar nicht gekonnt, denn dieses Wesen da vor ihm stand nicht auf der Seite des Lebens.
    Sondern auf der Seite des Todes.
    »Bist du gekommen, um mich zu holen?«
    Das Licht veränderte sich, und mit ihm die Gestalt und alles um ihn herum. Es war eine erstickende Düsterkeit, die damit einkehrte, und Zakaan hatte das Gefühl, als streife ihn die kalte Hand des Todes.
    »Ich hole dich nicht«, antwortete das mädchenhaft zarte Wesen endlich. »Und ich kann dir auch nicht sagen, wann die Zeit für dich gekommen ist.«
    Zakaan nickte, er fühlte sich auf eine fast absurde Art erleichtert, denn schließlich hatte er schon längst mit seinem Leben abgeschlossen. Zumindest hatte er das geglaubt. Aber vielleicht stimmte es auch nicht.
    »Ich bin aus einem ganz anderen Grund hier«, fuhr die Gestalt fort.
    Zakaan nickte abermals. Es gab viele Wesen, die die Welt der Toten bevölkerten, und etliche von ihnen waren so unvorstellbar grässlich, dass sie noch nicht einmal einen Namen hatten. Andere wiederum waren von lichter, kaum wahrnehmbarer Gestalt. Ganz anders als dieses Mädchen, das etwas gleichermaßen Zartes wie Unnachgiebiges besaß. Zakaan war
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