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Die Hexenadvokatin

Die Hexenadvokatin

Titel: Die Hexenadvokatin
Autoren: Karla Weigand
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Schwester.
     
    Die Irreführung gelang tatsächlich. Der langjährige, alte Medicus der Familie, den man - vollkommen verschlafen - nach Mitternacht ins Schloss ans Krankenbett gerufen hatte - und der später bloß noch flüchtig die einbalsamierte Leiche im geöffneten Sarkophag zu sehen bekam -, hatte scheinbar nichts bemerkt. Falls der greise Arzt sich gewundert haben sollte, ließ er sich zumindest nichts anmerken.
    Mochte vielleicht der eine oder andere Schlossbewohner ein merkwürdiges Gefühl bei der Geschichte haben, so gab es doch nichts, was diese Unsicherheit zu einem handfesten Zweifel hätte werden lassen.
    Alle drei - Graf, Gräfin und ihrer beider Kind, das alle für Rupert hielten - standen mit vor Trauer versteinerten Mienen und verweinten roten Augen vor dem blumengeschmückten Sarg in der Halle von Schloss Pechstein und nahmen in pechschwarzen Trauergewändern stumm die Beileidsbezeugungen von Hausangestellten, Freunden und Bekannten entgegen. Zumindest ihr Schmerz war dabei nicht gespielt.
    Ein wenig blass erschien »der junge Graf« den Trauergästen und auffallend dünn, beinahe zerbrechlich. Das Studium und nun der Kummer des großen Verlustes wegen mussten dem ältesten Sohn der Familie sehr zugesetzt haben … Pater Winfried stützte die gramgebeugte Mutter, Gräfin Eleonora, ihr dabei immer wieder tröstende Worte aus der Heiligen Schrift zuflüsternd.
     
    Die Gefühle, welche die siebzehnjährige Alberta in diesen Stunden durchströmten, waren höchst unterschiedlicher Natur. Noch immer überwog der Schmerz über den Tod des über
alles geliebten Bruders. Bis zu Ruperts Weggang nach Italien war das Zwillingspaar noch nie für längere Zeit getrennt gewesen. Stets hatten sie die Nähe des anderen gesucht und einander auch ohne Worte verstanden; was der eine fühlte, spürte auch sein alter Ego.
    Wie sehr hatte sie doch gelitten, als ihr Zwilling zum Studium nach Bologna aufgebrochen war und sie sich von ihm verabschieden musste! Beider Zukunft war unwiderruflich an einem Scheidepunkt angelangt; ihre Lebenswege schickten sich an, in vollkommen getrennten Richtungen zu verlaufen. Wie gerne hätte sie ihn begleitet …
    In jener Nacht, als ihr Bruder starb, war Alberta schreiend aus einem furchtbaren Traum erwacht: Rupert stürzte vor ihren Augen über eine hohe Felswand in die Tiefe …
    Das Klettern in seinen geliebten Bergen war eine Leidenschaft des jungen Mannes, die niemand so recht zu verstehen vermochte. Die Einheimischen in den Dörfern mieden so gut es ging den Aufstieg in größere Höhen. Nur so hoch das Vieh zu steigen in der Lage war, so weit getrauten sich auch die Bauern hinauf; und nur bis dahin errichteten sie ihre Almhütten.
    Auch die Jäger unterließen es nach Möglichkeit, oberhalb der Baumgrenze dem Wild nachzustellen. Im Allgemeinen erklommen nur Schmuggler und flüchtige Verbrecher die Spitzen der Gebirge.
    Weiter droben regierten, wie man munkelte, böse Berggeister, die es sehr übelnahmen, wenn Menschen sich ihren Behausungen in Fels und Firn näherten.
    Rupert aber hatte sich davon nicht beeindrucken lassen; obwohl es nicht immer leicht für ihn war, einen willigen Bergkameraden zu finden, der, gleich ihm, über den dummen Aberglauben lachte. So war er oft alleine in die Berge
gegangen - zum Kummer seiner Mutter und zum Ärger seines Vaters.
    Alberta atmete tief ein. Nun also sollte sie des Bruders Stelle einnehmen, an seiner statt studieren und eine möglichst steile Karriere in München bei Hofe machen - so wie es für ihren Zwillingsbruder geplant gewesen war. Herzog Maximilian übernahm als Berater vorwiegend Männer, die das Studium der Jurisprudenz absolviert hatten. Neben geistlichen Herren - vornehmlich Jesuiten - waren es hauptsächlich reiche Bürger, denen diese Ehre zuteilwurde.
    Der hohe Adel war am herzoglichen Hof in München geradezu kümmerlich vertreten. Die Herren von Degenberg, Fraunhofen, Maxlrain, Toerring, Gumppenberg, Thurn, Tannberg und neuerdings der Freiherr Johann Christoph von Preysing bildeten eine Ausnahme. Das sollte sich nach dem Willen des Grafen zu Mangfall-Pechstein bald ändern.
    Einerseits freute sich Alberta auf ihre »männliche« Lebensaufgabe. Im Ausland studieren zu dürfen - für das kluge Mädchen ging damit ein Traum in Erfüllung. Acht Jahre würde das Jura-Studium etwa dauern, bis sie den Abschluss als »Doktor beider Rechte« machen konnte.
    Sie nahm sich vor, das Studium rasant zu beschleunigen und veranschlagte
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