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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helga Glaesener
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Speyer?«
    »Wenn ja, dann stellt er sich selten dämlich an«, hörte Sophie Marx flüstern. Lachte er? Wie konnte man sich in solch einem Augenblick amüsieren? Aber vielleicht war es gar kein Lachen, sondern Husten, denn auch aus seinem Mund floss Blut. Sein Hemd war damit durchtränkt. Er sah furchtbar aus.
    Die Männer liefen in Richtung Vordorf. Nur Dirk sonderte sich ab und verschwand im Palas. Dann geschah eine Weile gar nichts. Sie warteten, während die Männer hastig das vollbrachten, was man ihnen befohlen hatte: nämlich die Festung sichern. Sophies Beine wurden eisig im Schnee. Sie zitterte. Marsilius atmete schwer auf seinem Stuhl und behielt sie im Auge. Es war Jössele, der keuchend die nächste Nachricht brachte. »Walter von Reifferscheidt ist vor dem Tor, Herr. Er begehrt Einlass!«
    »Walter!«
    »Und seine Männer sind bis zum Kragen bewaffnet.«
    »Was will …«
    »Wir lassen ihn nicht herein!«, fiel Edith Marsilius mit klarer Stimme ins Wort. Sie sprang auf. Ihr Haar erstrahlte wie ein Lorbeerkranz aus gelber Seide.
    »Wer befiehlt denn hier?«, fragte Sophie rau. Sie schaute ihrem Ehemann ins Gesicht. »Wer befiehlt dein Gesinde, Marsilius? Du oder die Teufelsbrut, die du dir ins Haus geholt hast?«
    Er hob den Kopf, doch er war zu schwach, um etwas zu erwidern. Sein Wutanfall hatte ihn verausgabt. Tatenlos sah er zu, wie Edith vor die Menschen trat.
    »Die Reifferscheidter sind bewaffnet und kommen nicht in Frieden! Wir verwehren ihnen also den Zutritt«, ordnete sie an.
    »Und wie lange soll das gut gehen?«, erkundigte Marx sich spöttisch. Er schüttelte den Kopf und hob die gefesselten Hände, um mit dem Handrücken das Blut fortzuwischen.
    »Solange ich es sage! Herr, der Kerl wagt es …«, setzte Edith an.
    »Halt doch den Mund!« Marsilius presste die Hand auf den Unterleib. Edith musterte ihn kurz, dann schrie sie Jössele an, ihren Beschluss unten am Tor zu verkünden. Der Knecht warf einen hilflosen Blick auf Marsilius. Mit einem zornigen Schwung des Kopfes raffte Edith das Kleid, um selbst zum Tor zu eilen.
    In diesem Moment erschien Dirk in der Palastür. Er zerrte eine kleine Gestalt an den Haaren mit sich – Eva. Es war ein Bild äußerster Brutalität: der große Mann und das halbe Kind. Ohne auf ihr Schreien zu achten, schaffte er das Mädchen zu Marsilius und presste ihren Kopf in seinen Schoß. »Deine Tochter, Marsilius … Ich habe Eva dabei erwischt, gerade eben, wie sie … Sie hat deinem Kind ein Kissen auf das Gesicht gedrückt.« Dirk zitterte vor Erregung.
    Sophie verstand nicht. Sie starrte auf das weinende Mädchen, genau wie Marsilius.
    »Herr, begreift doch: Die Hexen haben sich auf der Burg zusammengerottet und verschonen niemanden. Sie vernichten uns. Unsere Kinder … Seht es doch ein …« Dirk schluchzte, während er den Lockenkopf weiter in Marsilius’ Leib drückte, ohne auf die Schmerzen zu achten, die er ihm dadurch zufügte. »Erst waren es meine Kinder, nun ist es Eure Tochter.«
    »Henriette«, sagte Sophie tonlos. Sie starrte zu Marx, schwindlig vor Grauen.
    Eva gab ein ersticktes Geräusch von sich, als wollte sie etwas sagen, aber Edith übertönte sie. »Wenn dieses kleine Miststück dein Kind ermordete, Marsilius, dann soll sie sterben«, kreischte die Hexe. »Aber glaub nicht, ich hätte etwas damit zu tun. Ich habe ihr immer misstraut. Hat nicht Sophie sie als Magd in ihr Zimmer genommen?« Wie hatte die schöne Frau auf einmal die Mistgabel in die Hände bekommen? Sie schwenkte sie in beiden Händen, jede ihrer Bewegungen drückte schiere Verzweiflung aus. Furienhaft stürzte sie auf Eva zu. Nun ließ Dirk das Mädchen doch fahren. Er wich zurück und schlug ein Kreuz.
    Eva richtete sich auf, in den Augen blankes Entsetzen. Wie kindlich und verwirrt sie plötzlich aussah. Genau wie damals auf der Brücke. »Edith hat mir geboten, Gift in den Tee der Herrin zu gießen!« Abwehrend hob sie den Arm gegen die Zinken.
    Aber sie musste nicht sterben.
    Bevor die Mordwaffe ihren schmächtigen Körper durchbohren konnte, hatte Marx sich aufgerappelt. Er stolperte zwei Schritte voran, hob die gefesselten Hände und schwang sie über Ediths Kopf. Mit einem einzigen Ruck riss er sie an sich. Die Ketten, die seine Handgelenke verbanden, wurden zu einer Waffe, die Edith strangulierte. Die Menschen rissen die Augen auf, einige stöhnten, aber niemand sprang hinzu, ihn zu hindern. Auch Marsilius nicht. Edith hob gurgelnd die Hände.
    Doch Marx
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