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Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helga Glaesener
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sie gab sich keinen Illusionen hin.
    »Wir hatten den Hof präpariert. Es existierte ein Kriechtunnel vom Haus unter der Scheune hindurch bis zum Wald. Fast jeder Mensch, der einsam lebt, beugt inzwischen einem Überfall durch Söldnertrupps vor.«
    »Und warum hat der Bauer das für sich behalten?«
    »Ich hatte ihn bezahlt.«
    »Aber warum diese Posse?«
    »Weil Marsilius mir immer dichter auf den Fersen war. So viel Schutz bieten die Wälder nicht, wenn jeder Hirte, Vagant oder Dörfler sich das Zeugengeld verdienen will. Es wurde Zeit, unsichtbar zu werden. Außerdem wollte ich einige meiner Männer, die ich nicht mehr für zuverlässig hielt, loswerden. Ambrosius sollte zu diesem Zweck meinen Tod bezeugen.«
    »Ich hatte eine Heidenangst, als ich dich danach gesehen habe.«
    »Das tut mir leid, mein Herz. Ich fand mich eigentlich ganz manierlich.« Sie spürte ihn grinsen.
    »Ein manierlicher Werwolf.« Sophie seufzte. Wenn doch niemals jemand käme, wenn wir doch wirklich einfach hier sterben dürften, dachte sie wieder.
    Als sie die Falltür im Scharnier quietschen hörte, hoffte sie, es wäre Dirk. Das Verlies konnte von oben nicht viel anders als zuvor aussehen, so dunkel, wie es war, aber wenn jemand herabkam, würde er den zusätzlichen Gefangenen natürlich entdecken. Marx, der eingeschlafen war, begann, sich zu rühren. Eine Fackel wurde durch die Öffnung gehalten – und es zeigte sich, dass der Schein doch bis zu den Gestalten auf dem Fels reichte. Jemand fluchte, aber die Stimme gehörte nicht dem Burgvogt. Es war Kaspar.
    Der Henker ließ die Tür im Stich und rannte davon – was ihnen nicht half, denn die Strickleiter hatte er noch nicht hinabgelassen. »Nun geht es also los«, murmelte Marx, der inzwischen völlig wach war. Er drückte Sophie an sich und streichelte mit seiner verstümmelten Hand durch ihr Haar. »Nicht fürchten, mein Herz. Wir gehen hindurch und haben es hinter uns.«
    »Ja.« Ihr drehte sich der Magen um vor Angst.
    Es dauerte lange, ehe Kaspar zurückkehrte, sicher mehr als eine Stunde. Dieses Mal hatte er Helfer mitgebracht. Der Hexer, den sie so lange gejagt hatten, saß im Verlies fest! Vielleicht ahnten sie, wie das geschehen war, vielleicht hielten sie es auch für das Ergebnis einer misslungenen Zauberei. Jedenfalls kamen sie mit einem großen Trupp angerückt. Man beriet sich am Rand des Angstlochs. Offenbar traute sich niemand ins Verlies herab. Sie beschlossen, dass es auch nicht nötig sei, das Risiko einzugehen. Mit einem Rascheln fiel die Strickleiter hinab. »Kommt raus. Erst die Freiherrin«, brüllte Kaspar.
    Sie rührten sich nicht.
    Wieder berieten die Leute. Obwohl Sophie angestrengt lauschte, konnte sie keine Frauenstimme vernehmen. Edith ist nicht unter ihnen, dachte sie. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Marx hielt sie dicht an sich gepresst. Er küsste leicht ihr Haar. Wieder verging Zeit. Holten sie Marsilius? Plötzlich fielen Packen aus Stroh auf sie hinab, die einer nach dem anderen durch das Loch gestoßen wurden. Erst als Marx hinauf rief: »Hört auf – sie kommt«, begriff Sophie, was die Männer planten. Sie waren offenbar zu dem Schluss gekommen, dass sie den Hexer und ihre Herrin genauso gut in dem Loch verbrennen konnten wie später auf einem Scheiterhaufen.
    »Ich will nicht rauf«, flüsterte sie.
    »Gleich steht hier alles in Flammen!«
    »Sie werden uns auch oben …«
    »Es gibt immer Hoffnung.« Marx zog sie auf die Füße, presste ihr einen Kuss auf die Lippen und nötigte sie, die Strickleiter hinaufzuklettern.
    Das obere Verlies war komplett leer geräumt. Nichts deutete mehr darauf hin, dass hier einmal gottlose Riten oder ein Bad stattgefunden hatten. Sophie starrte die Menschen an, die sie umstanden, und alle kamen ihr fremd vor, obwohl sie einige Gesichter oft gesehen hatte. Und wenn sie ihnen nun Spuren des Talges zeigte, die bewiesen, dass hier schwarze Messen zelebriert worden waren – dass also wirklich eine Hexe am Werk gewesen war? Aber was sollte das beweisen? Die Leute würden glauben, sie selbst sei hier ihren teuflischen Werken nachgegangen. Sie war die Burgherrin, die es mit einem Hexer trieb.
    Auf einmal sah Sophie sich mit ihren Augen: eine schmutzige Frau in Lumpen, die so zerrissen waren, dass nicht einmal eine Magd sie angezogen hätte. In ihrem Haar klebten Strohhalme. Sie roch nach der Liebe, der sie sich in Marx’ Armen hingegeben hatte. Sie war die Verdorbenheit in Person. Willenlos ließ sie es
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