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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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Übung, er fürchtet sich vor dem Ersticken, auch das Verdursten dürfte nicht angenehm sein. Wie also wird es enden? Woran stirbt ein Körper überhaupt? Bleibt das Herz auf einmal stehen, oder ist es die Lunge, das Gehirn, denn so richtig vorbei ist es ja erst, wenn man nicht mehr denkt. Robert wirkt nicht sonderlich überrascht, er hat längst darüber nachgedacht. Es gibt Medikamente, sagt er, Opium erwähnt er, Morphium, dass er ihn nicht im Stich lassen wird. Ist es nicht seltsam, dass sie so einfach darüber reden? Nichtzum ersten Mal stellt sich dem Doktor die Frage, warum Robert das macht, warum er seit Wochen hier ist und sein eigenes Leben nicht lebt. Er schreibt es auf einen Zettel. Warum kümmern Sie sich nicht um Ihr Leben? Worauf Robert behauptet, hier, in diesem Zimmer sei sein Leben, ich bin bei Ihnen, ich genieße jede Minute. Ist das vorstellbar? Für eine gewisse Zeit, ja, denkt er, wahrscheinlich. Er beobachtet es an sich selbst, das Leben ist noch immer ein Leben, ja, es gefällt ihm, mehr denn je vielleicht, bei den dümmsten Anlässen freut er sich.
    Sehr schnell arbeitet er nicht. Er wird das fertige Buch nicht mehr in Händen halten, so viel ist ihm klar, während er unter den Augen Doras weiter korrigiert und hofft, dass etwas bleibt, ein Beweis, dass er sich bemüht hat, dass er eine Aufgabe hatte und sich ihr gestellt hat, wie auch immer das Urteil am Ende ausfallen mag. Er hat sehr vieles spät begriffen, manches mehr geahnt als begriffen. Aber immerhin, er ist mit Dora nach Berlin gegangen, er hat sich auf der Stelle entschieden, und sie ist noch immer da, was weit mehr ist, als er je zu hoffen wagte. Sie hat neue Blumen gebracht und fragt wie üblich, ob er etwas braucht, doch er braucht nichts. Durch das offene Fenster kommen weiterhin die Gerüche, nicht mehr so drängend wie vor Wochen bei der ersten Blüte, es ist Ende Mai, beinahe Sommer, im Sommer vor einem Jahr haben sie sich kennengelernt. Wenn Robert da ist, erinnert sie sich nur allzu gern daran, weiß Details, die er längst vergessen hat, damals auf der Landungsbrücke, wie er sie plötzlich umarmt hat. Weißt du noch? Umarmt hat er sie eigentlich nicht. Es war wohl mehr eine Andeutung davon, der erste Versuch, sich an sie zu lehnen, und in dieser Kunst hat er es zwischenzeitlich ja weit gebracht. Er vermisst die Nächte mit ihr. Ist es nicht unglaublich, dass man sich jemandaussucht, mit dem man des Nachts in einem Bett liegt und schläft, als wäre es eine Kleinigkeit? Er ist mutiger geworden an ihrer Seite. Oder war er erst mutig und dann an ihrer Seite? Er hätte gerne Kinder mit ihr gehabt. Ist es übrigens nicht seltsam, dass das Wünschen und Fragen bis zuletzt nicht aufhört?

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12
    S EIT EIN PAAR T AGEN SCHEINT ES ihm wieder besser zu gehen . Sie weiß nicht recht warum, ist es die Arbeit an den Korrekturen, ist es das Geflüster in den Nächten, wenn sie lauter alberne Sachen zu ihm sagt, wie sie als kleines Mädchen war, dass sie sich nach dem Tod der Mutter die Haare nicht mehr schneiden ließ und zwei lange Zöpfe trug. Sie erzählt von ihrer Schule, dass sie gerne Geschwister gehabt hätte, solche wie Ottla und Elli, mit denen sie weiter täglich telefoniert und jede noch so kleine Veränderung bespricht. Den Hoffmanns geht sie nach Möglichkeit aus dem Weg. Sie scheinen sich abgefunden zu haben, dennoch ist es unangenehm, ihnen zu begegnen, vor allem der Frau, die sie bedauernd ansieht, ein bisschen wie die Eule, von der sie seit Kurzem träumt. Es ist immer derselbe Traum, ohne genaue Handlung. Das Tier sitzt nur da und blickt sie an. Es macht ihr keine Angst, jedenfalls nicht im Traum, wo es nur ein dummer Vogel ist, ein Gast, denkt sie, ein Bote, wie sie beim Erwachen weiß, dessen Botschaft sie seit Wochen kennt.
    Judith hat geschrieben. Im letzten Brief klang sie sehr beschäftigt, aber jetzt ist ihre Welt plötzlich aus den Fugen. Sie ist schwanger von ihrem Fritz, Fritz ist zurück zu seiner Frau, und so kann sie nicht nach Palästina. Sie klingt sehr aufgeregt, enttäuscht, irgendwie fremd, als lebte sie da in Berlin ein unbegreifliches Leben. Franz stirbt, undJudith erwartet ein Kind, das sie bestimmt nicht will, aber unter Umständen eben doch. Sie sei völlig durcheinander, laufe Tag und Nacht durch ihr Zimmer, auf und ab wie ein Löwe im Käfig, wobei sie mal so, mal so entscheide. Dora weiß nicht recht, was sie ihr antworten soll. Sie schreibt, dass sie ihr Mut wünscht, dass sie gerade
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