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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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erinnert sich an Momente, in denen man selbst sehr durstig gewesen ist, und verfehlt doch die Qual, die es für ihn bedeuten muss. Er fragt nach gutem Mineralwasser, nur aus Interesse, schafft hin und wieder einen Schluck, sogar ein Glas Wasser ist zu viel. Wenn Dora es ihm hinstellt, schüttelt er den Kopf und beneidet den halb verblühten Flieder in der großen Vase, der noch als Sterbender trinkt, obwohl es das doch nicht gibt, dass Sterbende trinken. Er lächelt, wenn er solche Sachen schreibt, als müsse er nur immer weiter schreiben, um weiter zu leben. Seit einigen Tagen fällt ihr auf, dass Robert die Zettel sammelt; wenn Franz nicht schaut, steckt er sie heimlich ein. Er hat sie nicht gefragt, ob er das darf, aber vielleicht ist es ihr ja mehr recht als unrecht. Oft ist ihr klar, dass es die letzten Tage sind, dann wieder ist sie völlig verwirrt und kann ihn nicht lassen. Sie versucht sich zu zwingen, wenn sie sieht, wie er sich quält, dass sie alles hatten, in dieser gedrängten Zeit, das ganze Glück. Doch wenig später möchte sie nur schreien, weil es nicht mal ein Jahr gewesen ist. Siewird alles alles verlieren, wenn er fort ist, die Hände, seinen Mund, den Schutz, der er gewesen ist, als sei ihre Liebe ein Haus und jemand wolle sie für immer daraus vertreiben.
    Die Hoffmanns haben zu einem weiteren Gespräch gebeten. Sie kennt die Sätze und Beschwörungen auswendig, deshalb glaubt sie sich gewappnet, aber diesmal machen die Hoffmanns ernst, sie haben einen Beamten der jüdischen Gemeinde bestellt, vor diesem Beamten soll sie Franz das Jawort geben. Anfangs bemerkt sie nur irgendeinen Mann, es ist Nachmittag, die Stimmung ist gereizt, Dr. Hoffmann und Frau wollen die Zeugen machen, reden wie mit einem uneinsichtigen Kind, von ihrer Zukunft, dass sie nicht versorgt ist, sie muss daran denken, was aus ihr wird. So hämmern sie ihr das Allerunfassbarste wieder und wieder ein. Sie weigert sich. Was soll das für ein Leben sein, denn wenn Franz nicht lebt, was ist dann von ihrem Leben übrig? Sie kann es nicht erkennen und sagt es ihnen auch, dass sie nur Franz sieht. Warum nehmt ihr ihm die letzte Hoffnung? Frau Hoffmann sagt: Aber wäre es nicht schön? Hat er Sie nicht gefragt? Das gibt sie zu, gefragt hat er sie, allerdings habe ihr Vater der Heirat nicht zugestimmt, bloß was tut das eigentlich zur Sache, außerdem ist es Wochen her. Und damit steht sie auf und verlässt das Zimmer. Sie nimmt sich vor, nie mehr ein Wort mit ihnen zu sprechen, spricht auch mit Robert nicht, verletzt, dass er mit ihnen unter einer Decke steckt, sie fühlt sich beschmutzt, rafft sich endlich auf und geht zurück zu Franz.

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11
    D IE LETZTEN T AGE VERBRINGT ER in wechselhafter Verfassung, halb im Rausch von den Injektionen, rund um die Uhr mit dem Trinkproblem beschäftigt, bei dem es weiter keinen Fortschritt gibt, im Gegenteil, der Durst wird schlimmer und schlimmer. Er träumt das Trinken mehr, als dass er trinkt, ab und zu Wasser und pro Woche eine Flasche Tokayer. Er spürt nicht, dass es seine letzten Tage sind. Es gibt ein gewisses Schwanken, das eine Art Ungläubigkeit ist, denn manchmal meint er mit jeder Faser seines Körpers zu spüren, dass er nur aus Schwäche besteht, und dann, im nächsten Augenblick, rappelt er sich wieder auf. Viel zu tun hat er leider nicht, die korrigierten Fahnen sind längst in Berlin, und der zweite Umbruch ist noch nicht eingetroffen. Er kämpft tapfer mit den Mahlzeiten, wird von Robert oder Dora gewaschen. Er sitzt auf dem Balkon, blättert hie und da in einem Buch, Zeitung lieber nicht, obwohl es auch Zeitungen gibt, die Briefe aus Prag, die andere für ihn beantworten, oder die unbeantwortet auf dem Nachttisch liegen bleiben. Müsste er sagen, wie ihm ist, würde er zugeben, dass es ihm nie schlechter gegangen ist. Aber er kann klar denken, schreibt schön brav die Zettel, bewundert die Geduld, die Robert und Dora mit ihm haben und die er im umgekehrten Fall womöglich nicht hätte.
    Wenn er allein ist, denkt er oft an seinen Vater. Bis vor wenigen Wochen, in allen Briefen, hat er sich immer an die Mutter gewandt. Er schrieb an sie beide, meinte aber die Mutter, und jetzt auf einmal sieht er sich mit dem Vater in allen möglichen Gastgärten. Rühren möchte er an den alten Sachen nicht. Es genügt, dass der Vater vorkommt, dass er ihn hat, nicht nur als Drohung, sondern als jemand, der wie alle sein Leben zu bestehen versucht, was womöglich eine Art des Verzeihens
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