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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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nicht kann, ihre Tage seien ganz schrecklich, sie hoffe nur jeden Morgen, dass er atmet, denn solange er atmet, wolle sie alles gern ertragen. Franz findet die Sache nicht so schlimm, er freut sich, Judith kann nicht nach Palästina, na gut, aber warum eigentlich nicht, vielleicht sollte sie mit dem Kind nach Palästina, an Doras und seiner Stelle.
    Nachts im Bett, wenn sie den Totenvogel sieht, versucht sie vergeblich zu beten. Sie wüsste nicht um was, um ein Wunder in letzter Minute, dass sie es übersteht, wenn er nicht mehr da ist, denn bald, das ahnt sie, wird er nicht mehr da sein, dann hat sie ihn verloren, da kann sie betteln und klagen so viel sie will. Gegen Morgen klopft es an der Tür, und sie denkt sofort: Jetzt! Aber es ist nur Robert, der von einer unruhigen Nacht berichtet, Franz sei mehrmals aufgewacht und habe nach ihr gefragt. Er klopft mit der Hand neben sich auf die Bettdecke, sichtlich erfreut, und mehr ist da nicht, das übliche Geplauder mithilfe der Zettel, aber keine Geständnisse, keine letzte Prüfung, er liegt nur da und sieht sie an, deutet auf das offene Fenster, durch das die ersten Vogelstimmen zu hören sind. Schlafen kann oder will er nicht. Einmal taucht Robert auf, geht aber gleich weg, um sie nicht zu stören, kommt noch einmal mit dem Frühstück, einem Kaffee für Dora, den sie kaum anrührt. Gegen Mittag schläft er ein. Sie beobachtet seinen Atem, wundert sich über ihre Ruhe, dass man sich gar nichts Besonderes sagt, wenn es zu Ende geht, denn stundenweise ist er wach, beginntnoch einmal zu flüstern, lauter kleine schöne Sachen, für die er eine Ewigkeit braucht, über sie als Schauspielerin, dass er sie auf der Bühne gesehen hat, im Traum in einer ihm unbekannten Rolle.
    Wieder bleibt sie bei ihm. Sie hat ihn geküsst und dann lange nicht gewusst, ob sie sich einen Stuhl nehmen soll oder lieber am Bett bleibt, wo sie ihn besser im Blick hat, denn sie möchte ihn noch einmal in Ruhe betrachten, die Hand, die über der Decke liegt, jeden einzelnen Finger, die Kuppen, Nägel, Knöchel, dann das Gesicht, seine Wimpern, den Mund, die leise bewegten Nasenflügel, wobei sie immer wieder einschläft. Sie spürt ihren Rücken vom schiefen Sitzen und Liegen, aber dafür macht ihr Franz die Freude, dass er sie weckt. Sie hat geträumt, aber jetzt weckt er sie, fährt ihr durchs Haar, schon eine Weile, wie er sagt, praktisch ohne Stimme. In ihrem Traum haben sie zusammen Bier getrunken, auch die Eltern waren da und prosteten ihnen vom Nebentisch zu. Franz möchte weiter nicht, dass sie ihn besuchen, zuletzt haben sie offen damit gedroht, deshalb muss man es ihnen ausreden, in einem langen Brief, in dem er Hindernis auf Hindernis türmt. Zwischendurch bringt Robert zwei Schalen mit Erdbeeren und Kirschen, und so bleibt der Brief erst mal liegen. Gegen Abend macht er sich aufs Neue an die Korrekturen. Fertig wird er nicht, aber er wirkt zufrieden, hält beim Einschlafen lange ihre Hand, nicht sehr fest, sodass sie manchmal vergisst, dass da etwas ist, fast ohne Gewicht, als würde es im nächsten Moment davonfliegen.
    Gestern im Schlaf hat er mehrfach die Lippen bewegt. Sie hat kein Wort verstanden, aber es bestand kein Zweifel, dass er etwas zu sagen versuchte, wieder und wieder dieselben Worte, eine Art Formel, hatte sie den Eindruck,kein Gebet, wenngleich es sie daran erinnert hat, wie ein frommer Jude in der Synagoge. Geht sein Atem heute schwerer? Am Tag hat er oft gehustet, aber sie ist nicht sonderlich besorgt, nicht mehr als sonst, sieht ihn lange an, unendlich viel müder als gestern, sie kann vor Müdigkeit kaum denken. Um vier Uhr morgens wird sie wach. Sie liegt über seinen Beinen auf dem Bett und hört auf einmal komische Geräusche. Sie kommen von Franz, wie sie sofort begreift, er schnappt nach Luft, fuchtelt sehr seltsam mit den Armen, ohne sie zu sehen, und deshalb springt sie gleich auf und holt Robert. Jetzt, denkt sie. Wie ein Fisch, denkt sie. Aber schnappen Fische nach Luft? Mein Gott, Liebster, sagt sie. Sie steht an seinem Bett und weiß nicht, was sie tun soll, sie versucht ihn zu beruhigen, während Robert den Hilfsarzt holt. Man schickt sie aus dem Zimmer. Franz soll eine Kampferinjektion bekommen, eventuell Morphium, zumindest ist die Rede davon, etwas Eis zum Kühlen haben sie gebracht, und es scheint zu helfen. Franz sieht fürchterlich aus. Der Anfall hat viel Kraft gekostet, aber sie kann sich zu ihm setzen, hält seine Hand, streichelt seine Wange,
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