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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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seiner Angst. Wenn sie ihn küsst, ist es vorübergehend besser, dann vergisst er, wo und wer er ist, dann ist es fast wie im Sommer. Ist es nicht ein Wunder, dass sie hier ist? Dass sie lebt, unabhängig von ihm, auch jetzt, in dieser Minute? Dass sie atmet und ihr Herz schlägt? Dass es schlagende Herzen gibt?
    Dass er nicht schreibt, nimmt er inzwischen hin. Umso größer ist die Freude, als Dora den Umschlag mit den ersten Fahnen bringt und er sich mit eigenen Augen überzeugen kann, dass es andere Zeiten gegeben hat. Er ist nie besonders fleißig gewesen, aber er hat doch etwas vollbracht, es gibt diese Geschichten, auf dem Titelblatt seinen Namen, nichts, das man richtig anfassen könnte, aber einen Stapel bedrucktes Papier, in einer schönen Schrift, nicht ganz so groß wie beim Landarzt. Anfangs liest er mehr, als dass er korrigiert, den Hungerkünstler mit Tränen in den Augen. Ob er das heute noch könnte? Er sitzt halb aufrecht im Bett und hofft, dass ihn niemand stört,denn gelegentlich kommt der Hilfsarzt, den man schlecht wegschicken kann. Über eine Stunde bleibt er allein. Er hat Zeit, sich zu erinnern, wobei er die Bögen manchmal weglegt und es genießt, dass er beinahe ein wenig arbeitet und auch die nächsten Tage zu tun haben wird, was im Grunde kaum zu glauben ist.

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10
    F RANZ HAT IHR DEN A BSAGEBRIEF nur kurz gezeigt , aber noch Tage später ist sie aufgebracht, weiß auf Anhieb wieder die Gründe, warum sie von zu Hause weggegangen ist, zweimal in zwei Jahren, warum sie dem Vater nicht verzeiht, warum sie ihm nicht schreibt. Als sie gemerkt hat, wie schwer Franz die Sache nimmt, hat sie überlegt, ob sie den Vater womöglich umstimmen kann, wenn er wüsste, wie es um Franz steht, dass er nicht mehr lange lebt, denn was bedeutet es dann, ob er ein richtiger Jude ist, da er doch stirbt, also was bedeutet es dann? Bedeutet es etwas? Es bedeutet einen Dreck. Es bedeutet, dass der Vater kein Erbarmen hat, dass er seinen Gott hat, aber nicht das geringste Erbarmen, und folglich wird sie ihm nicht schreiben. Franz hat gesagt: Wir müssen es akzeptieren, wir müssen damit leben, wir müssen mit ganz anderen Dingen leben, Wunder eingeschlossen. Am Tag, als der Brief kam, hat sie Frau Hoffmann auf dem Flur getroffen, sie hat geweint und dann alles erzählt. Das, stellt sich heraus, ist ein Fehler gewesen, denn seither hören die Hoffmanns nicht auf, sie zu bedrängen, sie und Franz sollen so schnell wie möglich heiraten, sie müsse an ihre Zukunft denken, viel Zeit bleibe leider nicht. Das erste Mal bittet man sie sehr förmlich ins Ordinationszimmer, wo sie beide mit ernsten Mienen sitzen, sodass sie sich schon fragt, was um Himmels willen los ist. Frau Hoffmann führt das große Wort, sie meinten es nur gut,würden alles Erforderliche besorgen, einen Rabbiner, den Standesbeamten, was Dora sofort entsetzt ablehnt, das sei nicht im Sinne von Franz. Wie Sie meinen, sagt das Ehepaar, weshalb sie glaubt, die Angelegenheit sei erledigt, aber da hat sie sich getäuscht, denn von da an vergeht kein Tag, an dem sie es nicht auf die eine oder andere Art versuchen. Sie nehmen sie zur Seite, abwechselnd der Mann und die Frau, später auch der Hilfsarzt, und immer sagt sie Nein und möchte sich am liebsten verkriechen.
    Gegenüber Franz hat sie die Gespräche mit keinem Wort erwähnt. Doch scheint er etwas zu merken, denn er fragt, ob es Neuigkeiten gibt, etwas, das ich wissen muss, worauf sie es mit halben Wahrheiten versucht. Sie habe mit Dr. Hoffmann gesprochen, ein kurzes Geplauder, wie froh sie beide sind, dass er so tüchtig isst und trinkt, zu den Mahlzeiten Bier und Wein. Am meisten vertraut sie dem jungen Dr. Glas, der dreimal die Woche aus Wien kommt und ihr empfohlen hat, Somatose in das Bier zu geben, ohne Wissen von Franz, der zwar bemerkt, dass es nicht schmeckt, aber ohne Widerrede trinkt. Auch mit den Speisen trifft sie verschiedene Maßnahmen, setzt regelmäßig Eier zu, ohne große Hoffnung auf Besserung, nur damit er halbwegs bei Kräften bleibt. Seit die Fahnen da sind, scheint er das kleine Leben im Sanatorium wieder zu genießen, er sitzt im Bett und korrigiert, nicht sehr viel, nur ab und zu ein Wort, bis es nicht mehr geht. Einmal schreibt er: Wie konnten wir so lange ohne R. sein? Denn während Dora kaum das Haus verlässt, fährt Robert alle paar Tage nach Wien, bringt immer neue Blumen, sodass es manchmal beinahe zu viel ist, Rotdorn, eine Aglaia, weißen Flieder.
    Am
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