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Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens
Autoren: Michael Kumpfmüller
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nur abschrecken kann vor ihm, und dann lacht sie ihn aus und hört ihm zu, als rede er über einen Mann, den sie nicht kennt.
    Sie sitzen auf einer Bank, mitten im Wald, und leicht macht er es sich nicht. Er stellt sich vor, sie und er in Berlin, ein Zimmer vorausgesetzt, wie das wäre. Er möchte, dass sie so viel wie möglich in seiner Nähe ist, aber er muss auch allein sein, vor allem wenn er schreibt. Er gehe viel spazieren, stundenlang durch die Stadt, denn beim Gehen entstehen die Bilder, sagt er, Satz für Satz, sodass er es später nur aufschreiben muss. Er schreibt nur nachts. Ich bin unausstehlich, wenn ich schreibe. Aber jetzt lacht er. Sehr furchterregend, findet sie, klingt das Bekenntnis nicht. Es ist ihr fremd, aber es bedroht sie nicht. Wovor also fürchtet er sich? Vor mir? Fürchtest du dich vor mir?Dass ich dich störe? Wenn ich dich störe, sagt sie, gehe ich weg, bis du mir ein Zeichen gibst, dass ich wiederkommen darf. Halb meint sie es als Scherz, aber er wirkt erleichtert. Er hat seit Wochen kaum geschrieben, vielleicht ist er mit seinem Schreiben ja am Ende, aber so, wie er es sagt, scheint er nicht daran zu glauben. Ja, verstehst du? Sie ist sich nicht sicher, ob sie versteht, doch jetzt küsst er sie. Er wünscht sich eine Unterkunft im Grünen, und sie sagt Ja und noch einmal Ja, mitten im Wald auf dieser Bank. Manchmal glaube ich mir dich gar nicht, sagt er.
    Er hat einen neuen Anzug an, dunkelblau, fast schwarz, mit feinen weißen Streifen, dazu ein weißes Hemd, Weste, eine Krawatte, die sie bereits kennt.
    Sie schreibt an ihren Freund Georg und dann an Hans, von dem zwei Postkarten gekommen sind, krakelige Botschaften, auf die sie keine Antwort weiß. Zwischen den Zeilen hat er sie wissen lassen, dass er sie vermisst, er hat ihr keine Vorwürfe gemacht, aber eben deshalb hat sie Bedenken, ihn zu bitten. Seit sie den Doktor kennt, sieht sie Hans mit anderen Augen, als wäre er geschrumpft, jemand, den man nicht allzu ernst nehmen kann als Mann, weil er wie sie erst Mitte zwanzig ist. Trotzdem muss sie ihm schreiben, sein Vater ist Architekt, er hat Verbindungen, diese Verbindungen brauchen sie jetzt. Der Doktor ist der Doktor, eine Bekanntschaft am Strand, der sie einen Gefallen tut. Sie klingt ein wenig förmlich, hat sie das Gefühl. Im September sei sie wieder in Berlin, kündigt sie an, ich hoffe, es geht dir gut, was sich nun fast so anhört, als habe sie nicht viel damit zu tun, wie es ihm geht. Schuldig ist sie ihm, genau betrachtet, nichts. Sie sind zwei-, dreimal ins Kino gegangen, aber sonst war da nichts, jedenfalls nicht für sie. Sie ist froh, dass der Doktor nie nach ihm gefragt hat, es hätte sie verlegen gemacht,als könne man sich für einen wie Hans nur schämen. Später, am Nachmittag, wollen sie wieder spazieren gehen, der Doktor hat den Kindern im Ort ein Eis versprochen, deshalb wird es eventuell später.
    Gestern, auf dem Rückweg, hat er ihr gesagt, dass er alleine nicht leben könnte in Berlin; nur weil er Dora getroffen hat, kann er an Berlin überhaupt denken. Er kann zum Beispiel nicht kochen. Ob sie kochen würde für ihn in Berlin? Wie ein dummer Schuljunge hat er das gefragt. Er könne das nicht von ihr verlangen. Sie hat ihn umarmt und geküsst und gesagt, wie glücklich er sie macht, obwohl ihr in den letzten Tagen aufgefallen ist, dass er ihr Essen kaum anrührt. Er hat abgenommen, seit sie ihn kennt, und jetzt möchte er, dass sie in Berlin für ihn kocht.
    Auch Elli sagt, dass ihr der Bruder nicht gefällt, er verliert nicht nur Gewicht, sondern hat fast jeden Morgen Temperatur, das kalte Wetter tue leider das Übrige. Sie haben sich kurz in der Empfangshalle getroffen. Dora hat die Worte der Schwester als versteckten Vorwurf aufgefasst, als wäre es längst an ihr, dafür zu sorgen, dass der Doktor zu Kräften kommt. Abends bei Tisch mit den neuen Kindern lässt er den Großteil stehen oder behauptet, auf seinem Zimmer gegessen zu haben. Sei mir nicht böse, sagt sein Blick, aber wenn sie darüber nachdenkt, klingt es wie: Das verstehst du nicht, es gibt so vieles, was du nicht verstehst, trotzdem bist du mir lieb.
    Du bist meine Rettung, sagt er. Dabei habe ich an Rettung nicht mehr geglaubt.
    Wenn man durch Glück umkommen kann, dann muss es mir zweifellos geschehen, und kann man durch Glück am Leben bleiben, dann werde ich am Leben bleiben.
    Vor dem Einschlafen, wenn sie an ihn denkt, freut sie sich am meisten, dass er du sagt, dass er nicht
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