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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens
Autoren: Bernard Cornwell
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missbilligt Gott?», fragte Guthred.
    «Die Heiden natürlich», knurrte Eadred.
    Pater Hrothweard schaukelte im Stehen vor und zurück, rang die Hände und rief die göttliche Rache auf die Häupter der Ungläubigen
     herab, die das heilige Kleinod gestohlen und die Kirche entweiht hatten. «Offenbare uns die Schuldigen, Herr!», rief er und
     dann sah er mich und fand scheinbar, dass damit die Offenbarung eingetreten war, denn sofort deutete er auf mich. «Er war
     es!», spie er aus.
    «Wart Ihr es?», fragte Guthred.
    «Nein, Herr», sagte ich.
    «Er war es!», beharrte Hrothweard.
    «Ihr müsst die Habe all dieser Heiden durchsuchen», |455| erklärte Eadred an Guthred gewandt, «denn wenn die Reliquie nicht gefunden wird, dann ist unsere Niederlage sicher. Für diese
     Sünde werden wir von Ivarr vernichtet werden. So wird uns Gott für diesen Frevel züchtigen.»
    Es schien mir eine seltsame Strafe zu sein, einem heidnischen Dänen zu gestatten, einen christlichen König niederzuwerfen,
     weil eine Reliquie gestohlen worden war, doch die Voraussage schien zuzutreffen, denn am Vormittag, während in der Kirche
     immer noch eine hoffnungslose Suche nach dem Reliquiar durchgeführt wurde, brachte einer von Ragnars Leuten die Nachricht,
     dass Ivarrs Streitmacht in Sicht war. Sie zogen von Süden her auf uns zu und bildeten schon eine halbe Meile vor Ragnars kleiner
     Truppe ihren Schildwall.
    Auch für uns war es Zeit, sich bereit zu machen. Guthred und ich trugen schon unsere Kettenhemden, unsere Pferde waren gesattelt,
     und wir mussten nur noch hinausreiten und uns einen Platz in Ragnars Schildwall suchen, doch der Verlust der Reliquie hatte
     Guthred völlig außer Fassung gebracht. Als wir aus der Kirche getreten waren, nahm er mich beiseite. «Könnt Ihr Ragnar fragen,
     ob er sie genommen hat?», bat er mich. «Oder ob es vielleicht einer seiner Leute war?»
    «Ragnar hat sie nicht genommen», sagte ich verächtlich. «Wenn Ihr den Schuldigen finden wollt», fuhr ich fort, «dann durchsucht
     die dort.» Ich deutete auf Aidan und seine Reiter, die nun, nachdem Ivarr in der Nähe war, nur allzu gerne Richtung Norden
     aufbrechen wollten, es aber nicht wagten, solange Ivarrs Leute die Furt über den Swale blockierten. Guthred hatte sie gebeten,
     sich in unseren Schildwall einzureihen, doch das hatten sie abgelehnt, und nun warteten sie nur noch auf eine Gelegenheit,
     sich davonzumachen.
    |456| «Kein Christ würde die Reliquie stehlen!», rief Hrothweard, der meinen letzten Satz gehört hatte. «Das ist die Untat eines
     Heiden!»
    Inzwischen hatte Guthred das Grauen gepackt. Er glaubte immer noch an den christlichen Zauber, und er betrachtete den Diebstahl
     als ein Zeichen kommenden Unglücks. Er verdächtigte Aidan keineswegs, aber er wusste auch nicht, wen er sonst verdächtigen
     sollte, und deshalb ebnete ich ihm den Weg noch weiter.
    Ich rief Finan und Sihtric, die darauf warteten, mich zum Schildwall zu begleiten. «Dieser Mann», erklärte ich Guthred und
     deutete auf Finan, «ist ein Christ. Du bist doch Christ, oder, Finan?»
    «Das bin ich, Herr.»
    «Und er ist Ire», sprach ich weiter, denn jeder weiß, dass die Iren über die Gabe der Wahrsagerei verfügen. Finan, der genauso
     wenig wahrsagen konnte wie ich, bemühte sich um einen rätselhaften Gesichtsausdruck. «Er wird Eure Reliquie finden», versprach
     ich.
    «Wirklich?», fragte Guthred eifrig.
    «Ja, Herr», sagte Finan zuversichtlich.
    «Dann tue es, Finan», sagte ich, «während ich Ivarr töte. Und bringe uns den Schuldigen, sobald du ihn gefunden hast.»
    «Das werde ich.»
    Ein Diener brachte mir mein Pferd. «Kann Euer Ire die Reliquie wirklich finden?», fragte Guthred.
    «Ich werde der Kirche all mein Silber geben», sagte ich laut genug, damit es ein Dutzend Männer hören konnten, «und ich werde
     ihr mein Kettenhemd, meinen Helm, meine Armringe und meine Schwerter geben, wenn Finan Euch nicht sowohl die Reliquie als
     auch den Dieb bringt. Er ist Ire, und die Iren besitzen geheimnisvolle Fähigkeiten.» |457| Ich richtete meinen Blick auf Hrothweard. «Habt Ihr das gehört, Priester? Ich verspreche der Kirche mein gesamtes Vermögen,
     wenn Finan den Dieb nicht ausfindig machen sollte!»
    Hrothweard hatte dazu nichts zu sagen. Er funkelte mich böse an, doch ich hatte mein Versprechen in aller Öffentlichkeit gegeben,
     und es bezeugte meine Unschuld, also begnügte er sich damit, meinem Pferd vor die Hufe zu spucken.
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