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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter
Autoren: Oliver P�tzsch
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Flecken auf seiner Haut entdeckt, die sich langsam ausbreiten. An vielen Stellen fühlt er bereits nichts mehr. Ich glaube ... er hat den Aussatz. Er muss sich bei seiner letzten Reise nach Venedig angesteckt haben.«
    »Lepra?«
    Der Henker schwieg eine Weile. Dann lachte er laut heraus.
    »Der Augustin ein Lepröser! Wer hätte das gedacht? Nun, dann wird es ihn bestimmt freuen, dass das Siechenhaus bald fertig wird. Erst sabotiert der Geck den Bau, und dann zieht er selber ein ... Wer sagt’s denn, Gott ist doch gerecht!«
    Simon musste schmunzeln. Sofort beschlich ihn jedochein schlechtes Gewissen. Georg Augustin war ein böser Mensch, ein Verrückter, ein Kindermörder, der ihn noch dazu gefoltert hatte. Die Brandnarbe an Simons Oberschenkel schmerzte immer noch. Trotzdem wünschte er auch seinem ärgsten Feind nicht diese Krankheit. Georg Augustin würde bei lebendigem Leibe langsam verfaulen.
    Um auf andere Gedanken zu kommen, wechselte Simon das Thema.
    »Diese Verlobung von Magdalena mit dem Steingadener Henker ... «, begann er.
    »Was ist damit?«, brummte Jakob Kuisl.
    »Ist’s Euch damit ernst?«
    Der Henker zog an seiner Pfeife. Erst nach einer Weile antwortete er.
    »Ich hab ihm abgesagt. Das Weibsbild ist zu störrisch. Das hat er nicht verdient.«
    Ein Lächeln breitete sich über Simons Gesicht aus. Es war, als würde sich ein Knoten in seinem Bauch lösen. »Kuisl, ich bin Euch ... «
    »Schweig still!«, unterbrach ihn der Henker. »Sonst überleg ich’s mir noch mal.«
    Dann stand er auf und ging zur Tür. Stumm winkte er Simon, ihm zu folgen.
    Sie gingen durch die nach frischem Brot duftende Stube hinüber zur Kammer. Am niedrigen Durchgang musste sich der Henker wie immer bücken, hinter ihm glitt Simon ins Allerheiligste. Ehrfurchtsvoll blickte er einmal mehr auf den mächtigen Schrank, der bis zur Decke reichte. Eine Schatztruhe, dachte Simon. Gefüllt mit dem medizinischen Wissen der letzten Jahrhunderte …
    Sofort überkam den jungen Medicus der Drang, den Schrank zu öffnen, um nach Büchern und Folianten zu stöbern. Auf dem Weg dorthin wäre er beinahe über einekleine Truhe gestolpert, die in der Mitte der Kammer stand. Sie war aus poliertem Kirschholz gefertigt, mit silbernen Beschlägen und einem stabil aussehenden Schloss, in dem noch der Schlüssel steckte.
    »Mach sie auf«, sagte der Henker. »Sie gehört dir.« »Aber ...«, warf Simon ein.
    »Betracht’s als Lohn für deine Mühen«, warf Jakob Kuisl ein. »Du hast mir geholfen, meine Tochter zu befreien, und die Frau zu retten, die meine Kinder mit zur Welt gebracht hat. «
    Simon kniete sich hin und öffnete die Truhe. Mit einem leisen Klicken sprang der Deckel auf.
    Im Inneren lagen Bücher. Mindestens ein Dutzend.
    Es waren alles neue Ausgaben. Scultetus’ Wundarzneyliches Zeughaus, das Hebammenbuch des Schweizers Jakob Ruf, sämtliche Werke Ambroise Parés ins Deutsche übersetzt, Georg Bartischs Augendienst, Paracelsus’ Große Wundarzney mit farbigen Illustrationen in Leder gebunden …
    Simon wühlte und blätterte. Vor ihm lag ein Schatz, viel größer als der, den sie im Schrazelloch gefunden hatten. »Kuisl«, stotterte er. »Wie kann ich Euch danken? Das ist zu viel! Das ... das muss ein Vermögen gekostet haben!« Der Henker zuckte mit den Schultern.
    »Ein paar Goldmünzen mehr oder weniger. Das ist dem alten Augustin gar nicht aufgefallen.«
    Simon richtete sich erschrocken auf.
    »Ihr habt ...?«
    »Ich glaube, Ferdinand Schreevogl hätte es so gewollt«, sagte Jakob Kuisl. »Was soll so viel Geld bei der Kirche oder bei den Pfeffersäcken? Da verstaubt es doch genauso wie unten im Loch. Jetzt geh schon und lies, bevor ich’s noch bereue.«
    Simon sammelte die Bücher ein, verschloss die Truhe und grinste.
    »Ihr könnt Euch jederzeit von mir ein paar Werke ausleihen. Wenn ich dafür mit Magdalena ...«
    »Hundsfott, schleich dich!«
    Der Henker gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf, so dass Simon beinahe mit der Truhe über die Schwelle gestolpert wäre. Er rannte nach draußen, am Lech entlang durchs Gerberviertel, in die Stadt hinein, über die kopfsteingepflasterte Münzstraße, hinein in die engen, stinkenden Gassen, bis er keuchend bei sich zu Hause ankam.
    Er würde heute noch viel zu lesen haben.

Eine Art Nachwort
     
    Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal von den Kuisls gehört habe. Ich muss vielleicht fünf, sechs Jahre alt gewesen sein, als mich meine Großmutter zum ersten Mal
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