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Die Henkerstochter und der schwarze M�nch

Titel: Die Henkerstochter und der schwarze M�nch
Autoren: Oliver P�tzsch
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Haustür und drückte sie auf. Wieder wehte ihm der Sturm ins Gesicht, eine Wand aus Kälte und eisigen Dornen. Das Heulen schien Koppmeyer zu verhöhnen.
    In der Spur, die er Stunden zuvor gewalzt hatte und die teilweise noch zu erkennen war, schleppte er sich auf allen vieren zurück zur Kirche. Immer wieder musste er anhalten und sich hinlegen, wenn der Schmerz ihn übermannte. Schnee und Eis krochen unter seine Soutane, seine Hände froren zu unförmigen Klumpen. Koppmeyer verlor jegliches Zeitgefühl. Seine Gedanken hatten nur noch ein Ziel: Er musste die Kirche erreichen!
    Schließlich stieß sein Kopf gegen eine Wand. Erst mit ein paar Sekunden Verzögerung registrierte er, dass es das Portal der Lorenzkirche war. Mit letzter Kraft zwängte er die gefrorenen Stumpen, die einst seine Hände gewesen waren, in den Schlitz und zog die Tür auf. Drinnen war er nicht einmal mehr in der Lage, auf allen vieren zu kriechen. Die Beine knickten immer wieder unter dem schweren Körper weg. Die letzten Meter robbte er, in seinem Inneren tobte ein unerbittlicher Kampf. Er spürte, wie seine Organe nach und nach versagten.
    Als der Pfarrer die Platte über der Krypta erreicht hatte, streichelte er kurz das Relief der Frau unter ihm. Er liebkoste die verwitterte Gestalt wie eine Geliebte, schließlich legte er seine Wange auf ihr Gesicht. Die Lähmung stieg von seinen Beinen langsam nach oben. Bevor sie seine Hände erreichte, kratzte Koppmeyer mit dem schartigen Nagel seines rechten Zeigefingers einen Kreis in die Frostschicht auf der Grabplatte. Dann wich die Spannung aus dem bulligen Körper, er sackte zusammen. Noch einmal versuchte er, den Kopf zu heben, doch irgendetwas hielt ihn fest.
    Das Letzte, was Andreas Koppmeyer spürte, war, wie sein Bart, sein rechtes Ohr und seine Gesichtshaut langsam auf dem Stein festfroren. Kälte und Stille breiteten sich in ihm aus.

1
     
    S imon Fronwieser stapfte die Altenstadter Straße entlang durch den Schnee und verfluchte seinen Beruf. Bauern, Knechte, Zimmerleute, ja sogar Huren und Bettler blieben bei einer solch gottverdammten Kälte im Warmen. Nur er, der Schongauer Stadtmedicus, musste unbedingt einen Krankenbesuch machen!
    Trotz des dicken Wollmantels über seinem Rock und der ledernen, mit Fell gefütterten Handschuhe fror er zum Gotterbarmen. Schneebrocken und Eisklumpen waren in seinen Kragen und seine Stiefel gekrochen und zerronnen dort zu kaltem Matsch. Als er an sich hinunterblickte, bemerkte er vorne an der linken Stiefelspitze ein neues Loch, durch das sein großer, rotgefrorener Zeh hinauslugte. Simon biss die Zähne zusammen. Dass ihn seine Stiefel gerade jetzt im Winter im Stich lassen mussten! Er hatte sein Erspartes bereits für eine neue Rheingrafenhose ausgegeben. Aber die war einfach nötig gewesen. Lieber sollte ihm ein Zeh abfrieren, als dass er auf die Annehmlichkeiten der neuesten französischen Mode verzichten musste. Es galt, Stil zu wahren, gerade in so einer verschlafenen bayerischen Kleinstadt wie Schongau.
    Simon richtete den Blick wieder auf die Straße. Erst vor kurzem hatte es aufgehört zu schneien. Jetzt in den Vormittagsstunden hing eine schneidende Kälte über den brachliegenden Äckern und Wäldern rund um die Stadt. Die Schneekrusteauf dem schmalen Trampelpfad in der Mitte der Straße brach bei jedem Schritt ein. Eiszapfen hingen an den Zweigen, die Bäume ächzten unter der Last des Schnees. Hier und dort brachen Äste oder gaben mit lautem Krachen ihre Ladung frei. Simons perfekt ausrasierter Knebelbart und das auf Schulterlänge geschnittene schwarze Haar waren mittlerweile steif gefroren. Der Medicus tastete nach seinen Augenbrauen. Auch sie fühlten sich eisig an. Zum wiederholten Mal fluchte er laut vor sich hin. Es war der verdammt kälteste Tag des Jahres, und er musste im Auftrag seines Vaters nach Altenstadt stapfen! Und das alles nur wegen eines kranken Pfaffen!
    Simon konnte sich schon denken, was mit dem fetten Koppmeyer los war. Überfressen hatte er sich, wie so oft! Und nun lag er mit Bauchgrimmen im Bett und verlangte nach Lindenblütentee. Als wenn ihm den nicht auch seine Haushälterin Magda brauen könnte! Aber wahrscheinlich hatte der Herr Pfarrer mal wieder auswärts gevöllert, sich auf eine Liebelei mit einer der Dorfhuren eingelassen, und nun war Magda eingeschnappt, und Simon musste es ausbaden.
    Bereits in aller Frühe hatte Abraham Gedler, der Mesner der Altenstadter Lorenzkirche, an die Tür des
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