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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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hatte zwar relativ spät stattgefunden, war dafür aber kometenhaft verlaufen. Erst vor einem Jahr hatte Sven, der viele Jahre an kleinen Theatern gearbeitet hatte, seinen ersten Auftrag als Bühnenbildner am Thalia Theater gehabt. Seine innovativen Ideen hatten alle am Haus sehr beeindruckt und gingen weit über das hinaus, was andere Bühnenbildner zu einem Stück beisteuerten. Als der Regisseur des Stückes erkrankte und die Inszenierung auf der Studiobühne im halbfertigen Zustand hinterließ, sprang Sven ein. Kurz entschlossen hatte er alles in die Tonne getreten, was bislang erarbeitet worden war, und binnen sechs Wochen eine komplett neue Inszenierung auf die Beine gestellt, die euphorische Kritiken geerntet hatte und fast jeden Abend ausverkauft gewesen war.
    So bot man Sven für die nächste Spielzeit ein Stück am Großen Haus an. Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt. Der frischgebackene Regisseur Sven siedelte die Geschichte in einem ostdeutschen Kaff an und engagierte einen angesagten New Yorker Avantgarde-Musiker, dessen Klänge und Songs essenziell für die Inszenierung waren.
    Und dann flogen diese Schweine in die Twin Towers.
    Und dann machten diese amerikanischen Idioten Jagd auf alles, was den Koran las.
    Und jetzt saß Sven ohne Musiker da. Zwei Wochen vor der Premiere.
    »Ach, komm schon, Sven«, sagte Brückner. »Ich bin mir sicher, dass dir etwas einfällt.«
    Der Intendant erhob sich. Das Gespräch war beendet.

    Als Sven später nach Hause kam, knallte er die Wohnungstür hinter sich zu.
    »Fuck!«, brüllte er all die Wut heraus, die er eine Stunde lang im Theater mühsam unterdrückt hatte.
    Jörn kam aus dem Wohnzimmer in den Flur. »Was ist denn, Schatz?«, fragte er.
    »Fuck!«, brüllte Sven noch einmal, stapfte in sein Arbeitszimmer und knallte auch diese Tür hinter sich zu.
    Seinen Ehemann würdigte er nicht eines Blickes.
    * * *
    »Wie lief das Interview?«, Susann empfing mich bereits an der Wohnungstür.
    Ich mumpfte.
    So nannte Susann das. Wenn ich über etwas nicht reden wollte, zog ich die Lippen zusammen und grummelte ein Geräusch heraus, das angeblich wie »Mumpf« klang.
    »Mumpf?«, fragte sie.
    Ich zog die geputzten Halbschuhe aus. »Der Typ sagte, es ist noch nicht sicher, ob es überhaupt gesendet wird«, brummte ich.
    »Och«, sagte Susann und nahm mich kurz in den Arm. »Und warum nicht?«
    Ich zuckte die Schultern. »Die bemühen sich gerade um ein Telefoninterview mit Hera Lind. Und wenn die zusagt, ist für mein Buch keine Zeit mehr in der Sendung.«
    »Schlimm?«, fragte Susann.
    »Ach, wer hört schon Radio«, sagte ich und versuchte, cool zu klingen.
    »Ganz schlimm?«, hakte Susann nach.
    »Na ja. Wäre irgendwie schon spannend gewesen, sich selbst mal in einem Radiointerview zu hören«, gab ich zu.
    »Sushi-schlimm?«, lächelte Susann mich an.
    »Sushi-und-Sashimi-schlimm«, nickte ich.
    Das war eines unserer Rituale. Wenn einer von uns schlecht drauf war, so richtig frustriert, dann bestellten wir uns etwas Leckeres zu essen. Ich liebte japanisches Essen, das gerade seinen Siegeszug in Deutschland begonnen hatte. Es gab bereits drei Restaurants in Hamburg, die Rohe-Fisch-Röllchen anboten. Und eines davon lieferte sogar außer Haus. Da Susann mehr auf italienisches Essen stand, bestellten wir immer doppelt.
    Nachdem wir Nele am Abend ins Bett gebracht hatten, füllten wir die Leckereien von den hässlichen Styroporschalen auf schöne Teller, zündeten Kerzen an, machten eine Flasche Wein auf, legten eine gute CD rein – ich hatte mir gerade das neue Album von Björk gekauft – und schauten uns tief in die Augen, während wir aßen. Wir redeten nicht viel. Wir schauten uns nur an. Ganz genau schauten wir uns an. Ganz bewusst. Und dann wurde uns immer klar, dass es wichtigere Dinge im Leben gab als den blöden Kleinscheiß, über den wir uns gerade geärgert hatten. Dass das Leben voll schöner Dinge ist. Dass es Sushi und Sashimi gab und Linguini mit Scampi. Und dass es uns gab. Susann und mich. Und unsere Nele. Und dass es das gab, was Susann und ich im Schlafzimmer anstellten, nachdem wir die Kerzen ausgepustet und die Teller in die Geschirrspülmaschine gestellt hatten.
    Aber an diesem Abend musste ich dabei einmal kurz an Hera Lind denken.
    Und das war nicht schön.
    * * *
    Petra starrte fassungslos den Strich an. Horizontal. Nicht vertikal. Es war ein horizontaler Strich! Scheiße.
    Petra dachte an all die Glückwunschkarten, die sie in
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