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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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akzeptieren, daraufhin ist Sven eines Nachts mit einem Jagdmesser in ihr Schlafzimmer gegangen und hat ihr beide Augäpfel aus dem Gesicht geschnitten, die Pupillen dann in Teriyaki-Sauce mariniert, bei milder Hitze goldbraun gebraten und schließlich per Einschreiben an den Papst geschickt.«
    Dominik Brockheffer schaute mich eine Sekunde verblüfft an, dann begann er zu lachen.
    Ich grinste: »Okay. Keine Augäpfel. Aber Svens Outing ist tatsächlich ein wichtiger Teil des Romans. Sven hat sich in vierzig Jahren von einem verängstigten Häschen zu einem stolzen, starken Mann entwickelt. Er und sein Lebensgefährte waren eines der ersten homosexuellen Paare in Deutschland, die geheiratet haben. Er ist heute Regisseur am Theater.«
    »Cool«, fand Dominik. Er schaute für einen Moment in Gedanken versunken an die Decke. Dann sagte er: »Also, da gibt es Sie. Ihre Susann. Dille, der Chaot, und Petra, die nicht feminine Powerfrau. Sven, der stolze Schwule … Einer fehlt noch, oder?«
    Ich nickte: »Da kriegen Sie doch noch Ihren Toten. Bernhard.«
    Ich war erstaunt, wie schwer es mir immer noch fiel, über Bernhard zu reden. Es war ein Jahr her, seit wir ihn beerdigt hatten, aber es tat immer noch weh.
    »Bernhard war ein ganz besonderer Mensch«, erklärte ich Dominik. »Er war scheu. Ein Stotterer. Ein Träumer. Und hyperintelligent. Ich habe nie wieder einen Menschen getroffen, der so klug war wie Bernhard. Er hat aus seiner Genialität nur nie etwas machen können. Er war das Kind schwerer Alkoholiker. Vernachlässigt. Und dann ist er abgehauen. Mit sechzehn. Wir haben jahrelang Briefe von ihm bekommen. Aus aller Welt. Er war Entwicklungshelfer, Abenteurer, Weltreisender. Zumindest dachten wir das. Wir haben ihn bewundert. Ich habe ihn auch beneidet. Aber dann stellte sich letztes Jahr heraus, dass er all die Jahre in Wuppertal gelebt hat. Dass alles eine Lüge war. Ein Fake. Bernhard hatte sich wie seine Eltern totgesoffen. Wir haben ihn im Juli letzten Jahres beerdigt.«
    »Das tut mir leid«, sagte Dominik.
    »Mir auch«, antwortete ich.
    »Und wie geht die Geschichte aus?«, fragte mein Interviewer.
    Ich sah ihn erstaunt an. »Gar nicht«, sagte ich.
    »Wie jetzt?«, wunderte er sich.
    »Wie soll so eine Geschichte denn ausgehen?«, wollte ich wissen. »Es ist das Leben. Und das Leben geht weiter.«
    Klein-Dominik sah mich zweifelnd an. Er schien sich nicht vorstellen zu können, dass das Leben für Menschen über vierzig noch irgendetwas bereithielt. Wahrscheinlich dachte er, alles, was Männern meines Alters noch blieb, waren die alljährliche Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung und sporadische Ü40-Partys, auf denen wir zu den Klängen von Status Quo und Cindy Lauper unsere arthritischen Gelenke schüttelten.
    »Doch, doch. Es geht immer weiter, das Leben«, bekräftigte ich.
    »Sicher«, sagte Klein-Dominik. »So ist das wohl.«
    * * *
    »Was soll das heißen, wir brauchen einen anderen Musiker?«, rief Sven. »Ich hab für Mahmoud gekämpft, und ihr habt mir zugesagt, dass es klappt, und jetzt …«
    »Er hat Flugverbot«, unterbrach ihn Brückner.
    »Was?«, wunderte sich Sven.
    »Er darf kein Flugzeug besteigen«, erklärte Brückner. »Er ist Muslim. Und er hat diese CD gemacht mit dem Lied über Palästina und …«
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Sven. »Er ist Sänger und Gitarrist. Kein Terrorist! Er ist ein fester Bestandteil des Konzepts. Wie soll ich jetzt zwei Wochen vor der Premiere …?«
    Brückner machte eine hilflose Geste. »Wir haben alles versucht. Wirklich. Aber die Amis haben ihn vom Flugverkehr ausgeschlossen. Er hängt in New York fest.«
    Sven schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Er saß dem Intendanten in seinem Büro gegenüber und konnte nicht fassen, dass der so ruhig blieb.
    »Das ist doch ein Skandal!«, rief Sven. »Damit müssen wir an die Presse! Das können wir doch nicht einfach so …«
    »Sven«, sagte Brückner. »Ich schätze deine Leidenschaft. Aber wenn du den Job erst mal so lange machst wie ich, dann gewöhnst du dich daran, dass ständig solche Dinge passieren. Theater ist ein organisches Medium. Da muss man schnell reagieren. Und der wahre Kreative beharrt nicht auf einem Konzept, sondern versteht zu improvisieren.«
    Sven atmete tief durch. Er versuchte, sich zusammenzureißen. Das hier war eine Riesenchance für ihn. Seine erste Inszenierung am Großen Haus. Am Thalia Theater, um Himmels willen. Dem legendären Thalia Theater!
    Sein Aufstieg
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