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Die heißen Kuesse der Revolution

Die heißen Kuesse der Revolution

Titel: Die heißen Kuesse der Revolution
Autoren: Brenda Joyce
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Schleifbremse des Einspänners angezogen war, klopfte der alten Mähre auf die Flanken und schlang eilig den Riemen des Zaumzeuges um den Pfosten.
    Sie kam ungern zu spät. Es lag nicht in ihrer Natur, herumzutrödeln. Anders als die anderen Damen, die sie kannte, nahm Julianne das Leben sehr ernst.
    Für die anderen Damen gab es nur Mode und Einkäufe, gegenseitige Besuche zum Tee sowie Empfänge, Tänze und Abendgesellschaften, aber diese Damen lebten auch in ganz anderen Verhältnissen als Julianne. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass es in ihrem Leben jemals eine Zeit der Muße gegeben hatte. Juliannes Vater hatte die Familie noch vor ihrem dritten Geburtstag im Stich gelassen, doch schon zuvor hatten sie beengt und sehr sparsam gelebt. Als jüngster Sohn hatte der Vater über keinerlei Mittel verfügt und war doch ein Verschwender gewesen. Während sie auf dem Landgut der Familie aufwuchs, musste sie all die Arbeiten verrichten, für die unter ihresgleichen eigentlich die Dienerschaft zuständig war. Julianne kochte, erledigte den Abwasch, schleppte Brennholz, bügelte die Hemden der Brüder, fütterte die beiden Pferde, mistete den Stall aus, ständig wartete eine Pflicht auf sie. Nie war genug Zeit, um all das zu erledigen, was noch getan werden musste und dennoch fand Julianne es unentschuldbar, zu spät zu kommen.
    Eigentlich dauerte die Fahrt von ihrem Landgut bei Sennen Cove bis in die Stadt eine Stunde. Aber an diesem Tag hatte ihre ältere Schwester Amelia die Kutsche genommen. Egal, ob es stürmte oder schneite, an jedem Mittwoch verfrachtete Amelia die Mutter in die Kutsche, um den Nachbarn Besuche abzustatten. Es störte sie nicht, dass Momma keinen Menschen mehr erkannte. Momma war alt und gebrechlich und hatte nur noch selten all ihre Sinne beisammen. Es kam sogar vor, dass sie nicht einmal ihre Töchter erkannte, aber sie genoss diese Besuche. Niemand konnte so fröhlich und so ausgelassen sein wie sie. Momma schien sich noch immer als Debütantin zu betrachten, die von ihren vergnügten Freundinnen und ritterlichen Verehrern umgeben war. Julianne konnte sich nur annähernd vorstellen, wie es für ihre Mutter gewesen sein musste, in einem luxuriösen Haushalt aufzuwachsen. Im Heim ihrer Eltern wurde selbst der kleinste Handgriff von der Dienerschaft übernommen, als junge Frau trug sie teure Kleider und genoss den Reichtum. Doch das war lange bevor die Kolonisten in Amerika ihre Unabhängigkeit erkämpften. Diese Zeit war nur von kurzen Kriegen geprägt und kannte keine Furcht, keinen Hass und keine Revolution. Es war eine Zeit des unumschränkten Glanzes gewesen, voller verschwenderischer Prahlerei und himmelschreiende Zügellosigkeit. Eine Zeit, in der niemand das Leid und die Armut der kleinen Leute auf der Straße auch nur sah.
    Die arme Momma. Nachdem Juliannes Vater sie verlassen hatte, um sich den Spielsalons und den liederlichen Frauenzimmern in London, Antwerpen und Paris hinzugeben, war sie in sich zusammengebrochen. Aber Julianne war sich nicht sicher, ob ein gebrochenes Herz auch den Verstand ausschalten konnte. Manchmal glaubte sie, dass es dafür einen ganz anderen, einfachen Grund gab. Ihre Mutter kam anscheinend mit den düsteren, bedrohlichen Zuständen der modernen Welt nicht zurecht und flüchtete sich in eine Scheinwelt.
    Aber der Arzt hatte empfohlen, mit ihr unter die Leute zu gehen, und die ganze Familie stimmte dem zu. Also musste sich Julianne heute mit dem Einspänner und ihrer zwanzig Jahre alten Stute begnügen. Die Fahrt hatte doppelt so lang gedauert.
    Noch nie war Julianne so ungeduldig gewesen. In Wahrheit lebte sie nur für diese monatlichen Zusammenkünfte in Penzance. Julianne hatte die Gesellschaft im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrem Freund Tom Treyton gegründet, nachdem König Ludwig der XVI. vom Volk abgesetzt und Frankreich zur Republik erklärt worden war. Tom Treyton war ebenso radikal wie Julianne und glaubte wie sie an die Ideale der Französischen Revolution. Die Kräfte in Paris setzten alles daran, die Not und die Mühsal der Bauern und der kleinen Bürger zu lindern. Aber niemals hätten Julianne und Tom zu träumen gewagt, dass die Revolution das Ancien Régime , diese traditionell uneingeschränkte Herrschaft des Königshauses, eines Tages tatsächlich hinwegfegen würde.
    Jede Woche gab es eine neue verblüffende Wendung im Kampf um die Freiheit für die gewöhnlichen Bürger in Frankreich. Erst letzten Monat hatten sich die Führer der
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