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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck
Autoren: Kari Köster-Lösche
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verließ Wittenborch seine Mannschaft. Taleke blickte ihm fassungslos nach. Ein stattlicher Mann von vornehmer Gesinnung, wie sie noch keinen kennengelernt hatte. Rohlinge, Holzköpfe, Flegel, Rabauken und Vergewaltiger – alles war auf dem Gut vertreten gewesen, außerdem hatte es verlogene Geistliche gegeben. Dem ersten Mann in ihrem Leben, vor dem sie so etwas wie Respekt empfand, war sie soeben begegnet.
     
    Ein weiteres großes Schiff legte an. Da es fast dunkel war, wurde nicht mehr ent- oder umgeladen. Stattdessen wurde ein viertes Feuer entfacht, an dem die Seeleute des Neuankömmlings ihr Abendessen kochten und brieten. Allmählich mischten sich die Mannschaften der beiden Hochseeschiffe, vermehrt um Binnenschiffer und Flussfischer von Gothmund, dazu die Stauer, die in der Nachbarschaft wohnen mochten.
    Die neu Angekommenen waren Gotlandfahrer. Übereinstimmend dünkten sie sich vornehmer als die Bergenfahrer der »Brücke«. Darüber brach nach dem Essen ein Streitgespräch aus, das die beiden Steuerleute lauthals miteinander führten.
    Mit offenem Mund hörte Taleke zu.
    Die Tradition der Gotlandfahrer war älter, gewiss, aber die Bergenfahrer sahen die Zukunft auf ihrer Seite. »Angeber! Wir werden eine Vereinigung der Bergenfahrer gründen!«, polterte einer. »Dann sind wir die Stärkeren! Stockfisch ist wichtiger als Pelz! Wer frisst schon Pelze?«
    »Die Reichen gestalten die Zukunft! Nicht die Armen, die von Stockfisch leben.«
    Die sind ja bissig wie die Aale, dachte Taleke. Wie konnte das sein, war doch keiner hungrig geblieben, und warm hatten sie es obendrein.
    »Nun, nun«, brüllte ein vierschrötiger Kerl, der gerade mit zwei Knechten angelangt war, beschwichtigend. Er gehörte nicht zu den Seeleuten und brachte diese allein schon durch seine Statur zum Schweigen. »Trinkt, Männer! Bier beruhigt die Gemüter! Nur fünfzig Scherf das Fass.«
    Johlend stürzten sich die Männer auf die Fässer, die, dem Geräusch nach zu urteilen, oberhalb der Hütten von Gothmund von Karren abgeladen und zur Landzunge herabgerollt worden waren. Taleke bekam ihren Teil ab und wusste sofort, dass dies das Bier war, das sie kannte, das gewöhnliche Bier der Armen. Das Gagelbier, vor dem Wittenborch gewarnt hatte. Sie wusste nicht, warum. Sie war daran gewöhnt, und ihr schmeckte es.
    Mit dem Bierverzehr verschärfte sich zwischen beiden Mannschaften der gereizte Ton. Plötzlich warf sich einer aus der Mannschaft der Gotlandfahrer auf einen von der »Brücke« und versuchte, ihn zu würgen. Andere Männer wollten schlichten, was nicht gelang. Stattdessen prügelten sie sich derart, dass weder Freund noch Feind erkennbar war. Taleke, die die Flucht zu ergreifen versuchte, wurde von einem Seemann am Knöchel gepackt und zu Boden gezogen.
    »Erst mal bist du dran«, keuchte er, bevor er sich der Länge nach auf sie sacken ließ. Sein biergeschwängerter Atem umhüllte Taleke, und sie entging seinem vollen Gewicht nur dadurch, dass sie sich mit aller Gewalt zur Seite warf.
    »Hilfe!«, stieß sie aus, obwohl sie kaum noch Luft bekam.
    Mit einer Hand hatte er sie an der Kehle gepackt, mit der anderen nestelte er an seinem Wams, und obwohl Taleke sich wie ein Aal wand, kam sie nicht frei.
    Er rieb sein gewaltiges Gemächt an ihr, immer schneller und schneller, während er sich bemühte, es bloßzulegen. Taleke wehrte sich verzweifelt. Ihre Faust stieß ins Leere, und der Kerl wieherte vor Vergnügen.
    Plötzlich strömte ihr köstliche frische Luft in die Nase, sie konnte wieder atmen und fühlte sich leicht wie ein Vogel. Der zudringliche Seemann landete neben ihr im Gras, und auf sie herab blickte im flackernden Feuerschein Schiffer Wittenborch.
    »Eine erfahrene Frau macht sich aus dem Staub, wenn an Männer, die sich streiten, minderwertiges Bier ausgegeben wird«, sagte er und reichte ihr seine Hand.
    »Ich wusste nicht, was Ihr damit meintet«, gab Taleke kläglich zu und setzte sich auf. »Ich kannte bis heute nichts anderes.«
    »Ja, das verstehe ich. Aber manchmal verdreht das minderwertige oder gepanschte Bier den Männern den Kopf, und sie werden gefährlich, bevor sie an Vergiftung sterben.«
    Taleke schnappte vor Entsetzen nach Luft. Davon hatte sie noch nichts gehört.
    »Dabei halten Bergenfahrer und Gotlandfahrer im Allgemeinen zusammen. Auch daran kannst du erkennen, welche Auswirkungen das Teufelszeug hat.« Wittenborch musterte sie nachdenklich. »War es klug von dir, von zu Hause wegzulaufen?
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