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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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verurteilen, die wir nicht treffen mussten, ist nicht fair.«
    »Ich verurteile sie nicht«, sagte Aylin hastig.
    »Nein?«, fragte Danello.
    Aylin klappte den Mund auf und wieder zu. Ihre Wangen röteten sich, und sie seufzte. »Es tut mir leid, Nya.« Dann atmete sie tief durch und strich sich das Haar aus den Augen. »Ihr habt recht. Ich war nicht dabei. Und ich war nicht einmal eine große Hilfe, als du so furchtbar mitgenommen warst. Hätte ich mehr getan, hättest du vielleicht nicht transferieren müssen.«
    »Danke«, flüsterte ich. Vielleicht würde doch alles wieder in Ordnung kommen. Vielleicht war ich nicht so tief gesunken, wie ich befürchtet hatte.
    »Tut mir leid, dass ich an dir gezweifelt habe.«
    Danello ergriff meine Hand. »Hast du nicht gesagt, wir hätten Leben zu retten?«
    Wir hasteten hinunter zu einem kleinen Mietshaus in der Nähe des Fischereihafens. Die Diele war voll, als wir zu viert dort standen, aber keiner von uns wollte allein draußen warten. Ich klopfte an die Tür, und ein etwa zwölf Jahre alter Junge mit geröteten, verquollenen Augen öffnete. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt, und ich brachte keinen Ton heraus. Danello schob sich vor mich.
    »Wir sind gekommen, um deinen Vater zu heilen.«
    Der Junge tat einen erstickten Schluchzer und schüttelte den Kopf. »Ihr kommt zu spät. Er ist heute Morgen gestorben, gleich nach Sonnenaufgang.«
    Ich sank auf die Knie und weinte.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    D anello trug mich hinaus. Wie sehr ich mich auch bemühte, meine Beine wollten mir nicht gehorchen. So wenig wie meine Augen. Sie hörten nicht auf, Tränen zu vergießen, hörten nicht auf, den Fischer zu sehen.
    »Es ist gut, Nya.« Danello rieb mir in kreisenden Bewegungen den Rücken. »Wir haben unser Bestes getan. Mehr kann man von uns nicht verlangen.«
    Aylin hatte recht. Ich hätte nein sagen müssen. Ich hätte mich weigern müssen, ihm den Schmerz zu geben.
    Mitfühlendes Gemurmel spülte über mich hinweg, nichts weiter als leere Phrasen. Sie alle wussten, dass ich ihn getötet hatte. Er könnte immer noch am Leben sein, hätte ich Zertanik abgewiesen.
    Tali kniete sich vor mich und ergriff mein Gesicht mit beiden Händen. Noch hatte sie nichts gesagt. Vermutlich hasste sie mich, wollte mich nie wieder sehen, weil ich ihr Leben mit seinem erkauft hatte.
    »Nya, hier rumzusitzen und zu heulen hilft niemandem.«
    Ich blinzelte angesichts ihres sachlichen Tons, konnte aber nichts sagen.
    »Es gibt noch andere Leute, die geheilt werden müssen«, fuhr sie fort. »Leute, die denen, die sie lieben, eine Überlebenschance gegeben haben. Wie viele von denen wären gestorben, hättest du dem Fischer keinen Schmerz gegeben?«
    Ich schniefte. »Weiß nicht. Viele.«
    »Dann heb deinen Hintern vom Boden, und sorg dafür, dass ihr Opfer nicht umsonst gewesen ist. Was geschehen ist, ist geschehen ...« Sie ließ den Satz ausklingen. Es war an mir, ihn zu beenden. Alles zu beenden.
    »... und auf Nimmerwiedersehen.«
    »Genau wie Großmama gesagt hat.«
    Danello half mir auf die Beine. »Gibt jetzt nicht auf, Nya.«
    Beinahe hätte ich schon wieder angefangen zu weinen. »Gehen wir. Ich möchte nicht noch jemanden verlieren.«
 
    Es war wie in der Nacht in Zertaniks Haus, nur umgekehrt. Die Jonalis mit den vier Onkeln, die den Schmerz zweier gebrochener Beine trugen. Kestra Novaik, beladen mit dem Schmerz der zertrümmerten Schulter ihres Sohnes. Eine anonyme junge Dame, die den Schmerz der Gebrüder Fontuno auf sich genommen hatte. Ihr Name war Silena, und wir erreichten sie gerade noch rechtzeitig. Danello musste die Tür eintreten. Sie war allein und ihr Blut so dick, ich konnte kaum fassen, dass es überhaupt noch durch ihre Adern strömte.
    Ich sah zu, wie Tali sie heilte. Wie sie ihren Schmerz aus ihnen herauszog und in das Pynvium leitete. Wie sie tat, was ich nicht tun konnte. Ich sah noch immer den Fischer vor mir, wie er mich mit dem Hut in Händen anflehte, ihm zu helfen, seine Familie zu retten. Zertanik, wie er mich trickreich dazu brachte, ihm zu helfen. Jeatar, der mich warnte, ich möge schweigen. Nach einer Weile vereinte sich alles zu nur einer Stimme. Bitte, Miss. Der Herzog hat keine Waffe wie dich in seinem Arsenal.
    Wie lange würde es dauern, bis der Herzog von meiner Existenz erfuhr? Für ihn würde ich weder transferieren noch Pynvium entladen. Nie, nie wieder würde ich jemandem so wehtun. Drei Menschen waren gestorben durch meine Schuld, und
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