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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman
Autoren: Maggie O Farrell
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sehr lange ganz allein hier unten - auch wenn ihr Zeitgefühl nicht mehr das ist, was es einmal war. Aber wo sind die anderen Hausbewohner heute? Im Garten ist niemand. Die Schaukel schwingt leer hin und her. Auf
der Oberfläche des Teichs spiegelt sich ein Stück vom Himmel. Die Bäume recken steif die Äste, aus denen sich frische Blätter hervorkräuseln.
    Oben schlägt eine Uhr zwölf; Sekunden später antwortet ihr eine zweite mit einem helleren Ton.
    Im Salon sitzt Margot neben dem Fenster in einem Sessel. Sie weiß es nicht, aber in diesem Sessel hat Ferdinanda am liebsten gesessen, wenn sie stickte. Es ist ein niedriger georgianischer Stillstuhl ohne Armlehnen mit zierlichen, kannelierten Beinen. Gloria hat ihn mit unvorteilhaftem tomatenroten Samt neu beziehen lassen. Wie es der Zufall will, steht er fast genau an derselben Stelle, wo er zu Ferdinandas Zeiten stand - schräg zum Fenster, zum Licht.
    Margot weint schon den ganzen Morgen, mal mehr, mal weniger. Sie sitzt inmitten von Taschentüchern, den Kopf auf ihren Arm gelegt. Sie weint immer noch. Ihre Schultern zucken, ihr Gesicht ist verquollen und vom Kummer ausgelaugt.
    Zwei Etagen über ihr, über den Schlafzimmern, oben auf dem Speicher, werden schwere Kisten herumgewuchtet und Möbel verrückt. Es hört sich so an, als ob jemand etwas sucht. Ein Krachen, ein Poltern, Flüche, eine Pause, wieder ein Poltern.
    Margot schluchzt, greift zum nächsten Taschentuch, schnäuzt sich, schluchzt weiter, hält inne und atmet scharf ein. Felix steht in der Tür. Er hat eine uralte, staubige Schreibmaschine auf dem Arm.
    »Felix«, sagt Margot mit bebender Stimme. »Das ist meine.«
    »Ist sie nicht.«
    »Sie hat meinem Vater gehört. Mutter hat es mir gesagt und …«

    »Es war Lexies. Das weiß ich genau.«
    »Ja, aber …«
    »Und was ist mit den ganzen anderen Sachen?« Felix spricht so leise, dass sie ihn nur mit Mühe verstehen kann. Diese Stimme kennt sie. Er hat sie immer bei seinen Interviews mit besonders aalglatten Politikern benutzt. Eine eisige Ruhe liegt darin, eine giftige Höflichkeit. Es ist die Stimme, die dem Betreffenden und der Nation verriet: Ich hab dich am Wickel, jetzt entkommst du mir nicht mehr. Die Stimme, die ihn berühmt gemacht hat, vor all den Jahren.
    Und jetzt schlägt er ihr gegenüber den gleichen Ton an. Margot schluckt und ihr steigen erneut die Tränen in die Augen. Sie nimmt ihren letzten Widerstandswillen zusammen. »Ich verstehe nicht, was du meinst«, antwortet sie.
    »Das weißt du ganz genau«, sagt er mit seiner arktisch kalten Stimme. »Lexies Sachen. Wo sind sie?«
    »Was denn für Sachen?«, fragt sie aufbrausend zurück. Aber sie weiß, dass er sie am Wickel hat, und sie weiß, dass er es weiß.
    »Ihre Kleider, ihre Bücher, ihre Möbel. Die Briefe, die Laurence an Ted geschrieben hat, bevor er gestorben ist.« Er zählt ihr geduldig alles auf. »Was ich aus ihrem Haus geholt und auf den Dachboden gebracht habe.«
    Margot zuckt mit den Schultern und schüttelt gleichzeitig den Kopf.
    Felix stellt die Schreibmaschine ab. Er geht auf sie zu. »Soll das heißen, dass die Sachen weggekommen sind?«, murmelt er.
    Margot hält sich das Taschentuch vors Gesicht. »Ich … Ich weiß nicht.«
    »Das ist unfassbar«, sagt er, um ein, zwei Töne lauter. Sie
hatte vergessen, dass das die nächste Stufe ist - dass seine Stimme scharf und herrisch wird, bevor er zum entscheidenden Schlag ausholt. »Unfassbar. Sie sind weg, nicht wahr? Du und deine Hexe von Mutter, ihr habt sie weggeworfen. Hinter meinem Rücken.«
    »Schrei mich nicht an«, wimmert sie, obwohl Felix nie schreit. Das hat er gar nicht nötig.
    »Sag mir eins.« Er beugt sich über sie. »Ist alles weg?«
    »Felix, ich weiß wirklich …«
    »Ich erwarte eine simple Antwort. Ja oder nein. Hast du alle Sachen weggeworfen?«
    »Ich lass mich von dir nicht einschüchtern.«
    »Ja oder nein, Margot.«
    »Hör auf damit, bitte.«
    »Komm schon. Wenn du dich traust, so etwas zu tun, dann traust du dich auch, es zu auszusprechen. Sag es: ›Ja, ich habe die Sachen weggeworfen. Alles, was da war.‹«
    Schweigen. Margot knibbelt an einer Nagelhaut, wirft ihr Taschentuch auf den Boden.
    Felix wendet sich ab und geht zum Fenster. »Ist dir klar, dass Elina auf dem Weg hierher ist? Dass ich sie gebeten habe zu kommen? Ich habe ihr gesagt, dass wir Lexies Sachen auf dem Dachboden haben. Dass wir sie Ted geben wollen, damit er sie sich ansehen kann. Das sei das Mindeste,
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