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Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Titel: Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Autoren: Annette Bluhm
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zwar bereits die Kameratasche gekauft, von der sie erzählt hat, aber vielleicht kann ich sie zurückgeben.

15. Dezember, Sonntagnachmittag,
3. Advent, noch 8,5 Tage bis Weihnachten

    «Alles Gute zum Geburtstag, Hermann!»
    Ich habe mir angewöhnt, am Grab meines Mannes halblaut mit ihm zu plaudern. Jeder, der seine bessere Hälfte nach fünfunddreißigjähriger Ehe verloren hat, wird verstehen, dass ich mit einem Toten rede. «Stoßt ihr da oben mit einer Maß auf deinen Geburtstag an?»
    Dass Hermann biertrinkend auf mich herabschaut, hat mit
seiner
Vorstellung vom Jenseits zu tun. Er war nämlich überzeugt, nach dem Tod in einem bayrischen Biergarten-Eden zu landen. Einem idyllischen Fleckchen ohne Sperrstunde, wo die Sonne niemals untergeht und die Kastanienbäume immer grün bleiben. Dort würde er bis in alle Ewigkeit im Halbschatten der Bäume sitzen, eine gut eingeschenkte Maß schwenken und dazu einen knusprigen Schweinsbraten mit Blaukraut und Kartoffelknödel verspeisen. Selbstredend würde er weder betrunken werden noch ein einziges Kilo zunehmen von den üppig-deftigen Schmankerln.
    Früher fand ich Hermanns Vorstellung albern. Mittlerweile amüsiert mich der Gedanke. Das Paradies hat er sich redlich verdient. Hermann war Briefträger, hat bei Wind und Wetter Post ausgetragen und war nie krank. Als er mit sechzig in den Vorruhestand ging und die Hausmeisterstelle für unseren Wohnblock übernahm, hat er sich an einem eisig kalten Januarmorgen beim Schneeschippen so verausgabt, dass sich eine harmlose Erkältung zur tödlichen Lungenentzündung auswuchs. Da war er gerade mal vierundsechzig. Mittlerweile gönne ich ihm die ewige Ruhe – und jede Ewigkeits-Maß.
    Ich säubere den immergrünen Bodendecker vom angewehten Laub der umliegenden Bäume, drapiere das weihnachtliche Gesteck und stelle das neue Grablicht dazu. Ein Solar- LED -Grablicht mit Dämmerungssensor, das sich auch bei bewölktem Himmel auflädt, abends dann allein entzündet und sozusagen ewig brennen soll. Frisch dekoriert sieht nun auch Hermanns letzte Ruhestätte weihnachtlich aus. Viele der anderen Grabstätten sind mit Tannenzweigen, Kugeln, kleinen Adventskränzen oder sogar Nikolausstiefeln geschmückt. Und überall flackern Lichter.
    «Deine Enkel waren zum Plätzchenbacken bei mir», plaudere ich weiter. «Heute Morgen dachten sie, ich sei tot, und wollten mir dein Geburtstagsgesteck auf den Bauch legen. Wie findest du das?» Einen Augenblick lang glaube ich, seine Stimme zu hören, wie er sagt:
Du bleibst noch eine Weile unten.
    Als ganz in der Nähe ein Hund bellt, erhebe ich mich kopfschüttelnd und blicke mich vorsichtig um. Obwohl ich sicher bin, dass viele der Hinterbliebenen mit ihren Verstorbenen reden, wäre es mir doch peinlich, belauscht zu werden. Zu meiner Erleichterung kann ich niemand entdecken.
    Nachdem ich mich verabschiedet habe, schlendere ich langsam zum Ausgang. Am schmiedeeisernen Eingangstor sitzt ein kleiner Hund, mit der Leine am Gitter festgebunden. Als ich vor ihm stehe, blickt er aus großen dunklen Augen zu mir auf. Es ist ein hellbrauner Mischlingshund, dessen struppiges Fell viele graue Stellen aufweist.
    Wurde er ausgesetzt, weil er alt ist? Auf dem Friedhof?! Nein, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Das wäre zu makaber. Sicher besucht sein Mensch das Grab eines Angehörigen und hat ihn nur kurz angebunden, da Hunde auf Friedhöfen leider nicht erlaubt sind. Oder hat Hermann ihn geschickt?
    Er mochte zwar keine Haustiere, wusste aber, wie gerne ich immer einen Begleiter gehabt hätte. Der Wunsch ist seit seinem Tod noch größer geworden.
    «Na, du bist aber ein Süßer», sage ich und halte ihm eine Hand hin, damit er meinen Geruch aufnehmen kann.
    Während er schnüffelt, wedelt er träge im Sitzen, als wäre es zu anstrengend, das Hinterteil zu erheben.
    Suchend blicke ich mich um. Niemand zu sehen. «Was machen wir denn jetzt?», frage ich ihn.
    Er antwortet mit leisem Fiepen, als befürchte er, alleine bleiben zu müssen.
    Ich untersuche sein Halsband nach einer Adressmarke, finde aber nichts dergleichen. «Weißt du was? Ich leiste dir noch eine Weile Gesellschaft und warte, bis deine Besitzer auftauchen.»
    Unter Schnaufen richtet er sich langsam auf und rückt dichter an mich ran. Dann lässt er sich wieder nieder und bettet seinen Kopf auf meine Füße.
    Gerührt von so viel Zutraulichkeit erkläre ich: «Und wenn dich dein Frauchen oder Herrchen im Stich gelassen hat, nehme
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