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Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Titel: Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Autoren: Annette Bluhm
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lässt Madame Nerzmantel doch eine Verpackung springen. Tannengrünes Samtpapier mit geprägten Glitzersternen, passend zum grünen Schlips, dazu eine pistaziengrüne Satinschleife, sowie das weihnachtlich duftende Bouquet aus getrockneter Orangenscheibe, Nelken und Zimtstange, umwickelt mit Messingdraht.
    «Bitte sorgfältig einpacken, das ist für meinen Sohn, der gerade seine eigene Kanzlei eröffnet hat», verrät sie und blickt sich stolz um. Fehlt nur noch, dass sie Visitenkarten vom Filius verteilt. «Das Spielzeug ins Nikolauspapier. Die verwöhnten Gören reißen sowieso gleich alles auf, da ist jeder Euro zu schade.»
    Das kenne ich allerdings auch. Für Jan und Eric, meine Enkel, ist Verpackung lediglich dazu da, sie als Papierball durchs Zimmer kicken zu können. Und die Oma kickt fröhlich mit, was wiederum ihre Mutter, meine Tochter Katja nervt, die es auch nicht leiden kann, wenn ich die Doppelnamen unterschlage. Aber Jungs im Kindergartenalter Jan-Georg und Eric-Anton zu rufen, finde ich einfach zu albern.
    «Wie lange dauert das denn hier noch? Egal, wo man hinschaut, unfähiges Personal. Servicewüste Deutschland!» Der junge Mann im tannengrünen Lodenmantel wird ungeduldig. Er gehört in die Schublade «bayrischer Schnösel», ist vermutlich Besitzer einer noblen Skihütte im österreichischen Kitzbühel, in die er an den Wochenenden mit seinem BMW düst. Er hält zwei große, prall gefüllte Tüten unseres Hauses in den Händen, die er nun leicht anhebt, um mir zu signalisieren, warum er hier ist. Als würde irgendjemand hier nur zum Spaß in der Schlange rumstehen.
    Madame Nerzmantel dreht sich um. «Wenn S’ drängeln, geht’s auch nicht schneller», schnauzt sie ungnädig.
    In der Schlange bei der Kollegin kichert ein junges Pärchen mit gleichfarbigen Strickmützen: «Eilt doch nicht. Weihnachten ist erst in zehn Tagen.»
    «Genau!», bestätigt Madame Nerz und schnappt sich ihre fertig eingepackten Geschenke, ohne sich zu bedanken. Für sie bin ich nur Personal – das vom Kaufhaus bezahlt wird.
    «Frohes Fest», wünsche ich ihr noch, aber das nimmt sie schon nicht mehr zur Kenntnis. Begleitet von einer rockigen Jingle-Bells-Version aus dem Hintergrund stöckelt sie davon.
    Noch bevor ich die Verpackungsreste wegräumen kann, knallt der Jungschnösel seine Tüten auf den Tresen. «Ich hab’s eilig!»
    Gut, dass er es erwähnt, ich hätte mir sonst eingebildet, wir trinken vorher ein Tässchen Glühwein zusammen und philosophieren über Sinn und Zweck von Verpackungen.
    Stumm nickend reiße ich die von ihm ausgewählten Folien ab, verpacke gewissenhaft seine Geschenke und ziehe dann das Kräuselband über die Schere.
    Dreißig Minuten später kann ich mir endlich die dämliche Mütze mit den Blinksternchen vom Kopf reißen. Den Blick in den Spiegel der Personalgarderobe vermeide ich. Dass mein kinnlanges braunes Haar scheußlich angeklatscht am Kopf liegt, weiß ich ohnehin. Es lässt mich diesen befreienden Moment aber trotzdem genießen.
    Auf der Straße atme ich tief durch, sauge gierig die kalte Winterluft ein und blicke versonnen den weißen Atemwölkchen nach. Endlich Frischluft. Würde mich nicht wundern, wenn ich demnächst
graue
Wölkchen ausatme. Auf Dauer kann die von der Klimaanlage umgewälzte Luft nicht gesund sein, mal abgesehen davon, dass der Kaufhausmief, das ständige Weihnachtsgedudel und die gestressten Kunden meinen Job nicht gerade zu Wellnesstagen machen. Aber was tut man nicht alles für seine Lieben. Für meine lieben Enkelsöhne, um genau zu sein. Normalerweise komme ich mit der Witwenrente gut über die Runden. Ich kann sogar ein paar Euros zur Seite legen. Für den alljährlichen Weihnachtsgeschenke-Tsunami muss ich aber etwas dazuverdienen. Ich persönlich könnte auf das ganze Brimborium gut verzichten. Am meisten auf die zwei Millionen Knödel-Gänsebraten-Kalorien, die dann bis zum Muttertag auf meinen Hüften sitzen. Allein Jan und Erics wegen beteilige ich mich an dem Weihnachtswirbel und freue mich an ihren strahlenden Kinderaugen.
     
    Mein Heimweg führt über den großen Weihnachtsmarkt am Marienplatz, der an den Samstagen noch voller ist als unter der Woche. Wer keine Angst vor dichtem Gedränge, hektischem Geschiebe oder gar Taschendieben hat und das eigenwillige Duftgemisch aus Bratwurst-Glühwein-Lebkuchen köstlich findet, der wird sich hier wie im Paradies fühlen.
    Um den appetitanregenden Gerüchen zu entkommen, schlängle ich mich
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