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Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)

Titel: Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Autoren: Annette Bluhm
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möglichst schnell durch die Menschenmassen Richtung Sendlinger Tor. Im Blumenladen, Ecke Stephansplatz, wartet das bestellte Grabgesteck für meinen verstorbenen Mann. Ein teurer Luxus, aber morgen ist Hermanns Geburtstag, und ich möchte seine letzte Ruhestätte festlich schmücken.
    Als ich in die Pestalozzistraße einbiege, freue ich mich auf mein Appartement. Zimmer mit Schlafnische, eine in den Wohnraum integrierte offene Küche und ein Minibad, das zumindest über eine Badewanne verfügt. In dem winzigen Flur kann ich bei ausgestreckten Armen links und rechts die Wände berühren. Verglichen mit der großzügigen Vierzimmerwohnung, in der wir über fünfundzwanzig Jahre als Familie gelebt haben und täglich in der großen Wohnküche saßen, gleicht meine jetzige Behausung einer Schuhschachtel. Aber sie liegt zumindest im selben Haus.
    Kurz nachdem ich Witwe geworden war, konnte ich unsere Wohnung in der ersten Etage mit einem frisch verheirateten Paar gegen deren gemütliches Appartement unterm Dach tauschen. Inzwischen haben die beiden ein kleines Mädchen, das zweite Baby ist unterwegs. Für mich alleine genügen die zweiundvierzig Quadratmeter vollkommen. Nur wenn mich meine lebhaften Enkel besuchen, bricht regelmäßig das Chaos aus.
    Heute ist es mal wieder so weit. Jan und Eric bleiben sogar über Nacht. Ich freue mich sehr auf die Racker. Auch auf das geplante Plätzchenbacken morgen, um das Katja mich gebeten hat. Sie selbst ist beruflich zu sehr eingespannt und kommt einfach nicht dazu. Aber es ist ihr wichtig, dass die beiden möglichst viele Weihnachtsrituale mitbekommen. Und für mich gehört die Weihnachtsbäckerei zu den schönsten Bräuchen.
    Zu Hause angekommen verstaue ich das Grabgesteck zur Sicherheit auf dem Kleiderschrank. Da reichen die Jungs garantiert nicht ran. Anschließend schlüpfe ich in eine graue Jogginghose plus hellblauen Pulli und setze Teewasser auf. Mit dem herrlich duftenden Tee auf dem Tablett begebe ich mich zur Sitzecke und lasse mich aufatmend auf die Schlafcouch fallen, wo ich heute auch nächtigen werde. Eigentlich wollte ich noch den hellen Teppich wegräumen, den ich erst vor kurzem angeschafft habe. Doch ich bin einfach zu erschöpft. Nur fünf Minuten die müden Beine ausstrecken, bis morgen Vormittag werde ich kaum mehr dazu kommen. Der Teppich wird das Wochenende schon heil überstehen.
    Die zweite Tasse Tee ist noch halb voll, da schrillt die Türklingel derart fordernd, als stünde irgendwo im Haus ein Adventskranz in Flammen. Ich haste durch den Flur und höre Katjas mahnende Stimme durch die Tür: «Es reicht, Jan-Georg. Schluss damit, Eric-Anton, die Oma kriegt noch einen Herzkasper.»
    Als ich öffne, stürmen die Jungs mit fröhlichem Gekicher auf mich zu.
    Der dreijährige Eric sieht mich mit fragenden Augen an. «Oma, wie lange dauern zehn Tage?»
    «Mal überlegen», sage ich ausweichend.
    «Macht nix, Oma», beruhigt er mich. «Ich weiß es auch nicht. Aba die Mama hat gesagt, noch zehn Mal schlafen, dann bringt das Christkind gaaanz viele Geschenke …» Sein kleines Gesicht leuchtet vor Freude.
    «Der Weihnachtsmann bringt viiiel schönere Sachen, du Baby», entgegnet der zwei Jahre ältere Jan, der durch den Wachstumsschub im Sommer sichtlich schulreif geworden ist.
    «Hallo, Mama.» Katja begrüßt mich mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange. «Kinder, Schuhe aus, Jacken, Mützen, Schals … Los, trödelt nicht rum … flotti Karotti …»
    Kichernd reißen die beiden sich die buntgemusterten Strickmützen von den Köpfen, pfeffern sie samt den Schals in die Ecke, lassen ihre dunkelblauen Anoraks fallen und setzen sich zum Schuheausziehen auf den Fußboden. Katja behält ihren grauen Mohairmantel, den lila Schal und die grau-lila Strickkappe auf den blonden Haaren, als wäre sie lediglich der Kinderlieferservice.
    «Und du?», frage ich meine Tochter, die mit Schatten unter den Augen ziemlich gehetzt aussieht. «Willst du eine Tasse Tee mit mir trinken?»
    «Liebend gerne, Mama, aber ich muss leider gleich wieder los», seufzt sie. «Bernd hat …»
    «Ich will aber bei der Oma bleiben», schreit Jan trotzig dazwischen und saust auf Socken ins Zimmer, als wolle er sich vor seiner Mutter verstecken.
    «Ich auhauch», ruft der kleine Eric und läuft ihm nach.
    «Schon gut, ihr bleibt ja hier», beruhigt Katja sie und stellt den Rucksack ab. «Da sind Zahnbürsten, Schlafanzüge, die Stoppersocken und zwei alte Herrenhemden fürs
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