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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Boden unter ihm. Er fühlte, daß er wieder denken konnte und daß die Kraft zurückkam.
    Der Schuppen dort? Die Tür … Er stand auf und schlich hinüber. Die Tür hatte ein Schloß. Das Gute war: Vom Haus konnte man ihn nicht sehen. Und so stand er nun und feilte; das feine, schabende Metallgeräusch begleitete seine Gedanken.
    NUTTENPÜPPCHEN, dachte er, MEIN ARMES, KLEINES NUTTENPÜPPCHEN … DU WOLLTEST ES SO … UND ES WAR DOCH SCHÖN FÜR DICH, ODER …? ES WAR DOCH SCHÖN …
    AUSSERDEM: ES MUSSTE SEIN … ICH HAB' ES IHNEN ALLEN WIEDER GEZEIGT … SCHON DESHALB MUSSTE DAS SEIN …
    * * *
    Es war nicht das erstemal, daß Richard sie auf diese Weise – Alkoholröte im Gesicht, angeschwollene Adern an den Schläfen und unwiderstehlicher Siegerblick in den Augen – ja, wie nennt man so etwas – ›genommen‹ hatte.
    Aber wenn sie es sich ins Bewußtsein rief, nackt neben ihm ausgestreckt, den Blick auf die vergilbten Vorhänge gerichtet, die wie Gespensterflügel im Ausschnitt des Gartenfensters hin und her wehten, wurde ihr mit widerwilliger Faszination bewußt, daß sie es manchmal durchaus genossen hatte … Wieder sah sie ihn vor sich, wie er, irgendeinen lächerlichen Plastikbeutel mit einer lächerlichen Champagnerflasche in der Hand, die Treppen zu ihrer Wohnung hochstürmte. Sitzungspause, klar doch, oder eine ganz besonders wichtige Konferenz im Justizministerium, oder der Wagen mußte ja unbedingt zur Reparatur – ein Stück Zeit jedenfalls hatte er herausgebrochen aus dem täglichen Streßkarussell, nur für sie beide, versteht sich, mit der Hilfe von Lügen, komplizierten und geflüsterten Telefonanrufen oder auch einfach mit Brachialgewalt, und da war er dann, der Herr Oberstaatsanwalt am Landesgericht, der LG-Mensch in der ganzen Pracht seiner Nadelstreifen und seiner Silberkrawatte, ließ den Champagnerpfropfen knallen, was natürlich besonders sündhaft-aggressiv wirkte, drängte sie zum Bett und brachte es dabei noch fertig, ihr das Zeug in den Mund zu schütten und mit der anderen Hand die Blusenknöpfe aufzureißen. Und dann …? Ja, was dann? Dann ›ging die Post ab‹, wie er es nannte.
    Richard Saynfeldt, der Unwiderstehliche …
    Und sie?
    Hatte sie es wirklich genossen?
    Sie hatten abgehoben, das ja, sie hatte es zugelassen, sie hatte einfach mitgespielt, und vielleicht war es auch ein Spiel gewesen, das sie sich selbst entrückte.
    Aber diesmal …
    Diesmal war alles anders. Und sie hatte sich nicht gewehrt.
    Er stöhnte neben ihr, öffnete die Augen und sagte: »Du rauchst ja noch?«
    Sie nickte. Wieso, verdammt noch mal, sollte sie nicht rauchen?
    Er sah sie noch immer an. Der berühmte Messermund des Anklägers war schlaff, nein weich geworden, die Augen waren rötlich unterlaufen, geplatzte Äderchen, Spuren seiner tollen Sturmfahrt auf dem See – oder des Grappas, des Whiskys, des Merlot, was immer die Kameraden vom Club da in sich hineingeschüttet hatten – oder Spuren dessen, das er ›Liebe‹ nannte.
    »Was ist denn mit dir?«
    Er nahm ihr die Zigarette aus der Hand, sog daran und starrte zur Decke.
    Sie schwieg.
    »Komm, irgendwas ist doch?«
    Sie sah den Rauchschwaden zu, die quer durchs Zimmer zu der Kommode strichen, auf der unter einem verstaubten Glassturz eine alte Schlaguhr aus der Sammlung von Onkel Hans schlummerte.
    Seine Hand kam zu ihr, strich wieder über ihre linke Brust, wanderte den Rippenbogen entlang zum Bauch und wollte sich einen Platz zwischen ihren Schenkeln suchen. Sie nahm sie am Gelenk und schob sie weg, zurück aufs Bett.
    Er stützte sich auf den Ellbogen. Seine Augen waren forschend, der Mund wieder schmal und die dunklen Brauen gerade: das Ermittler-, das Staatsanwaltgesicht.
    »Das Übliche, was?«
    »Was ist das denn, das Übliche?« fragte sie.
    Er ließ sich aufs Bett zurückfallen und rauchte weiter. »Abschiedsschmerz vom Tessin. Das Ende eines kleinen, herzigen Egotrips …«
    »Du redest Quatsch. Und du weißt es.«
    »Und morgen, wie gehabt, läuft die Mühle. Meinst du, mir macht das Spaß?«
    Seine Hand streifte wieder ihre Haut.
    Sie ließ sie dort, wo sie war, auf ihrem Beckenknochen. Fremd erschien sie ihr, so tot wie ein Stück Holz.
    »Isa, jetzt guck nicht so tragisch in die Gegend. Was soll 'n das? In drei Wochen sind wir wieder hier. Ist schon alles arrangiert … gar kein Problem … Und weißt du wie? Karla muß bald mal wieder nach Hamburg. Die haben in ihrer Pharmaklitsche so eine Vorstandssitzung, und ihr Vater
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