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Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die Gruben von Villette: Kriminalroman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Ingrid Hedström
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arbeitete, hatte sie die Künstlerträume abgelegt.
    Der Atem der alten Dame wurde schwerer, und der spröde Körper schien sich unter der Decke zu entspannen. Thomas stand vorsichtig auf und sah sich im Raum um. Es war eine Bibliothek mit Wänden in Englischrot und eingebauten Bücherregalen bis an die Decke, die in den letzten Wochen auch Greta Lidelius’ Schlafzimmer gewesen war, weil sie mit ihren Doppeltüren der einzige abgetrennte Raum war, in den man das höhenverstellbare Krankenbett hineinbekam.
    Seit dem Tod ihres Mannes hatte Greta Lidelius allein in dem alten Pfarrhof von Granåker gewohnt, den das Paar Lidelius gekauft hatte, als die schrumpfende Provinzgemeinde 1962 dem Pastorat der expansiven Grubenortschaft Hanaberget einverleibt worden war. Aron Lidelius war in den dreißiger Jahren Pastor in Granåker gewesen, und dorthin wollte er zurück, als ihm 1955 ein Herzanfall klargemacht hatte, daß er als Bischof abtreten mußte, wenn er noch ein paar Jahre auf der Erde erleben und Zeit finden wollte, sein großes Werk über die frühe christliche Lehre im Licht der Schriftrollen vom Toten Meer zu vollenden.Damals war schon klar, daß die Gemeinde von Schließung bedroht war, und das Bistum hatte den Wunsch des früheren Bischofs, dort in den letzten Jahren arbeiten zu dürfen, bevor er sich zurückzog, enthusiastisch bewilligt.
    Für Thomas und seine drei älteren Geschwister war der gelbe Pfarrhof das Sommerparadies ihrer Kindheit gewesen, mit Tagen voll von Walderdbeerenpflücken, Touren auf Heufuhren, Badeausflügen zu dem kleinen Binnensee und Streifzügen im harzduftenden Wald, wo das Sonnenlicht ganz anders durch die Kiefernkronen und dichten Tannen sickerte als in den Laubwäldern zu Hause in Belgien. Eva Lidelius und ihr belgischer Ehemann waren sich einig gewesen, daß ihre Kinder fließend Schwedisch sprechen lernen sollten, und deshalb hatten die vier Kinder Héger nacheinander ihre Sommer bei den Großeltern verbringen dürfen.
    Thomas betrachtete nostalgisch die beiden geräumigen Ohrensessel vor dem offenen Kamin. Hier hatten ihm die Großeltern an Sommertagen, wenn Regenschleier es unmöglich machten, durch die drei hohen Fenster in der Bibliothek bis zur Kirche zu sehen, abwechselnd »Mio, mein Mio« vorgelesen. Er konnte die metallisch klingende Stimme seines Großvaters, angepaßt an Kanzeln und Katheder, fast hören: »Greta, Liebes, ich finde, der junge Mann hier sieht schon ganz ausgehungert aus. Das erfordert wohl einen raschen Einsatz von Himbeersaft und Gugelhupf!«
    Über dem offenen Kamin hing ein Porträt von Greta Lidelius, gemalt von ihrer Tochter 1945, ein paar Monate bevor sie zum Studium hinunter zum Kontinent reiste und dort blieb. Eva Lidelius war damals sehr jung gewesen, aber es war leicht, die Kontinuität zwischen ihren Jugendgemälden und ihren späteren reifen Werken zu sehen. Thomaswußte, daß seine Großmutter viele Anfragen bekommen hatte, diejenigen von Evas Gemälden, die im Pfarrhof hingen, zu verkaufen, aber sie war nicht interessiert gewesen.
    Er meinte, ein Klopfen an der Tür zu hören, und ging in die Diele. Doch, es klopfte wieder. Er machte auf und stand Auge in Auge mit einer Frau um die vierzig. Sie war feingliedrig und klein, hatte rote Haare und eine Pagenfrisur, und ihr Gesicht hellte sich auf, als sie ihn sah.
    – Nein, Thomas, wie schön! Gott, ist das lange her, daß ich dich gesehen habe, das müssen mindestens zwanzig Jahre sein!
    Angesichts eines solchen Enthusiasmus empfand er es als ziemlich peinlich, daß er die Besucherin nicht unterbringen konnte, aber er wußte wirklich nicht, wer sie war. Er öffnete die Tür und forderte sie auf, in die Glasveranda einzutreten, während er fieberhaft versuchte, die roten Haare und die grünblauen Augen einzuordnen.
    Sie sah seine Qual und lachte.
    – Du erkennst mich nicht, stimmt’s? Birgitta Janols, inzwischen Matsson.
    – Birgitta! sagte er erfreut. Ja, jetzt sehe ich, daß du es bist, die Haare haben mich in die Irre geführt, ich bin sicher, daß du nicht rothaarig warst, als wir uns das letzte Mal gesehen haben!
    Sie lächelte ganz genauso, wie sie es vor dreißig Jahren getan hatte, ein bezauberndes, weit offenes Lächeln, das zwei leicht schiefe Schneidezähne zeigte.
    – Tja, du, die Natur ist erstaunlich, sagte sie und strich sich mit einem Funkeln im Auge über die Haare, so wurde es 1978, und so ist es seitdem geblieben.
    Den Sommer bevor er in die dritte Klasse kam, hatte Thomas
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