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Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)

Titel: Die Große Wildnis: Band 1 (German Edition)
Autoren: Piers Torday
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Frauen sagen – ob »Würstchen mit Kartoffelbrei«, »Schinken mit Ei«, »Pastete mit Erbsen« –, spielt keine Rolle, denn egal, was sie austeilen, es ist immer die gleiche pinkfarbene Pampe, die über den Rand der Schüssel schwappt, und sie schmeckt immer gleich: nach Krabbenchips.
    Formul-A, auszusprechen mit einem lang gezogenen Ahhh, wie man uns stets einschärft, auch wenn niemand sich daran hält. Das Zeug heißt Formula und Schluss. Zuerst sind die Tiere, die uns als Nahrung dienten, verschwunden, dann die Bienen und danach das Getreide und die Früchte. Auch das Gemüse war ungenießbar. Deshalb wurde es rationiert und wenig später wurden die Butter löffelweise und die Milch tassenweise abgemessen. Zum Schluss gab es weder frische noch tiefgefrorene Lebensmittel mehr, sondern nur noch Dosen. Öliger Mischmasch aus Fleisch, Fisch oder Gemüse. Dann gab es auch keine Dosen mehr. Die Leute aßen alles, was sie kriegen konnten. Sogar Ungeziefer. Ratten. Kakerlaken.
    Eines Tages – da war ich längst hier – gab es plötzlich Formula. Und das war’s dann. Normales Essen kam nie mehr auf den Tisch. »Alles andere ist weg«, erklärte uns Rosalie an jenem Tag und hielt den bis an den Rand gefüllten Schöpflöffel in der Hand. »Und das bleibt auch so, also fragt nicht weiter.« Von da an bekamen wir einen Mahlzeitenersatz, der laut Packungsaufschrift den »täglichen Nahrungsbedarf deckt«.
    Vorausgesetzt, man mag Chips mit Krabbengeschmack.
    »Jaynes! Willst du was zu essen oder lieber ’nen Schlag auf deinen hirnlosen Schädel?«
    Die haarige Rosalie drückt mir einen Napf mit pinkfarbenem Formula in die Hand, und ich gehe die Reihe entlang zurück, vorbei an den anderen, die sich gegenseitig schubsen und stoßen. Als ich an der Breiten Brenda vorbeikomme, lächelt sie mich an, und ich bleibe ste hen. Bren ist eigentlich ganz okay – sie wird oft gehänselt, weil sie so dick ist, vielleicht lacht sie deshalb nur selten über andere.
    »Alles okay, Dumpfkarotte?«, fragt sie und schlingt die Hälfte ihrer Formula-Portion in einem Happen hinunter. Stumm ist gleich dumm, und dazu noch rote Haare. Das fordert ja geradezu zu einem Spitznamen heraus.
    Ich zucke nur die Schulter und rühre in meiner Pampe.
    Plötzlich taucht direkt vor meiner Nase ein Kopf mit Stachelhaaren auf. Maze grinst mich hämisch an.
    »Hallo, Dumpfkarotte. Was gibt’s Neues, alte Plaudertasche?«
    Ich weiche seinem Blick aus und starre stur auf das pinkfarbene Zeug.
    »Es ist so still, findest du nicht auch?«, fragt er.
    »Lass ihn in Ruhe«, sagt Bren, den Mund voll mit Hühnchen-und-Pommes-Geschmack.
    Aber er hört nicht auf sie.
    »Hey. Der spielt uns doch nur was vor. Stimmt’s, Dumpfkarotte?«
    Schicksalsergeben schüttle ich den Kopf. Ich weiß genau, was als Nächstes passieren wird. Maze stellt seine Schale ab und rollt die Ärmel hoch. »Pass gut auf, Bren – ich zeig’s dir. Jede Wette, wenn ich Dumpfkarotte in die Mangel nehme, plärrt er los. Habe ich recht?«
    Nein, ich werde nicht losplärren.
    a) Weil ich nicht kann und
    b) weil ich heute nicht in der Stimmung dazu bin.
    Meine Schüssel wie ein Schutzschild vor der Brust, zwänge ich mich an ihm und den anderen vorbei.
    Hinter mir höre ich, wie Maze verächtlich auf den Boden spuckt und lacht. Und obwohl es in diesem Moment genau das Falsche ist, kann ich einfach nicht anders: Ich drehe mich um. Sie stehen da und starren mich an, meine Mitschüler allesamt.
    »Hey, du Freak«, sagt Maze und grinst wieder sein teuflisches Grinsen.
    Ich rufe mir in Erinnerung, dass ich schon vor langer Zeit aufgehört habe, wie die Sprechenden sein zu wollen. Also schüttle ich den Kopf und tue so, als würde es mir nichts ausmachen. Ich spiele den coolen Typen, drehe mich um und gehe mit meiner Schüssel weg, um in meiner Ecke zu sitzen.
    Meine Ecke ist natürlich nicht wirklich meine Ecke. Es ist nur ein Teil des Hofs, direkt unter dem stählernen Laufsteg, der zu den einzelnen Klassenzimmern führt, ein Ort, wo Metall und Beton vorherrschen statt Glas und wo man die leeren Formula-Fässer aus der Küche lagert, direkt neben einem Abflussrohr. Ein ruhiger und dunkler Ort, an dem man Zuflucht suchen kann, wenn man keine Lust hat, sich von Idioten mit Gel in den Stachelhaaren anmachen zu lassen. Ich stelle die Schüssel mit der pinkfarben fluoreszierenden Pampe ab und drehe eines der Fässer um.
    »Facto ist ein Unternehmen von Selwyn Stone«, steht auf dem Boden des Fasses.
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