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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze
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Hang hinab. Sie tat ihr Bestes, ihn aus seiner Verdrossenheit zu reißen, aber diese kalte, starre Maske kannte sie nur zu gut: Nur die Zeit und vielleicht das Jagdfieber würden ihr wieder Leben einhauchen können.
    Briony sah sich um und bemerkte erleichtert, daß Barrick ihr folgte, ein schmaler Schatten auf dem grauen Pferd, ganz in Schwarz, als trüge er Trauer. Aber so kleidete sich ihr Zwillingsbruder jeden Tag.
    Oh, bitte, Barrick, lieber, zorniger Barrick, verliebe dich nicht in den Tod.
Sie staunte selbst über diese extravaganten inneren Worte — poetische Inbrunst erzeugte bei Briony Eddon normalerweise nur ein Gefühl, als ob es sie irgendwo juckte, wo sie sich nicht kratzen konnte —, und als sie sich geistesabwesend wieder umdrehte, hätte sie beinah eine kleine Gestalt niedergeritten, die sich gerade noch ins lange Gras werfen konnte. Ihr Herz pochte wild. Sie parierte Schneeflocke und sprang ab, sicher, daß sie um ein Haar irgendein Kätnerskind getötet hätte.
    »Bist du verletzt?«
    Es war ein kleiner, schon etwas ergrauter Mann, der sich aus dem strohigen Gras aufrappelte. Er ging ihr gerade bis an den Sattelgurt — ein älterer Funderling mit kurzen, aber muskulösen Armen und Beinen. Er zog den formlosen Filzhut und machte eine kleine Verbeugung. »Alles heil, edles Fräulein. Danke der gütigen Nachfrage.«
    »Ich habe Euch nicht gesehen ...«
    »Das tut kaum jemand, edles Fräulein.« Er lächelte. »Und ich hätte auch besser ...«
    Barrick donnerte vorbei, ohne einen Blick für seine Schwester und ihr Beinahe-Opfer übrig zu haben. Bei aller Entschlossenheit schonte er doch den schmerzenden Arm, und sein Sitz war erschreckend wacklig. Briony kletterte so schnell wieder auf Schneeflocke, daß sich ihr Reitrock verwurstelte.
    »Verzeiht mir«, bat sie den kleinen Mann, beugte sich dann tief über Schneeflockes Hals und jagte hinter ihrem Bruder her.

    Der Funderling half seiner Frau auf. »Gerade wollte ich dich der Prinzessin vorstellen.«
    »Red kein dummes Zeug.« Sie wischte sich Kletten vom dicken Rock. »Wir können von Glück sagen, daß ihr Pferd uns nicht zu Mus zerstampft hat.«
    »Trotzdem. Es war vielleicht deine einzige Chance, ein Mitglied der Königsfamilie kennenzulernen.« Er schüttelte theatralisch-betrübt den Kopf. »Unsere letzte Chance, es zu etwas zu bringen, Opalia.«
    Sie kniff die Augen zusammen, weigerte sich zu lächeln. »Ich wäre schon froh, wenn wir genügend Kupferstücke hätten, um dir neue Stiefel zu kaufen, Chert, und mir einen hübschen Winterschal. Dann könnten wir zu den Zunftversammlungen gehen, ohne wie Bettelkinder auszusehen.«
    »Ist lange her, daß wir wie irgendwelche Kinder ausgesehen haben, mein alter Schatz.« Er klaubte eine weitere Klette aus ihrem graugesträhnten Haar.
    »Und es wird noch länger hin sein, daß ich einen neuen Schal kriege, wenn wir jetzt nicht machen, daß wir weiterkommen.« Aber sie war es, die noch stehen blieb und fast schon wehmütig den Pfad entlangschaute. »War das wirklich die Prinzessin? Was glaubst du, wo die beiden so eilig hinwollten?«
    »Der Jagdgesellschaft hinterher. Hast du nicht die Hörner gehört?
Trara, trara!
Heute sind die hohen Herrschaften unterwegs, um irgendeine arme Kreatur über die Hügel zu hetzen. In den schlimmen alten Zeiten wäre vielleicht einer von uns das Wild gewesen!«
    Sie fand wieder zu sich und schnaubte verächtlich. »Das schert mich alles nicht, und wenn du klug bist, scherst du dich auch nicht drum. Wie mein Vater immer gesagt hat: Laß dich nicht mit den Großwüchsigen ein, wenn es nicht sein muß, und zieh nicht unnötig ihre Aufmerksamkeit auf dich. Das bringt nichts Gutes. Und jetzt laß uns wieder an die Arbeit gehen, Alter. Ich will mich nicht mehr in der Nähe der Schattengrenze herumtreiben, wenn es dunkel wird.«
    Chert Blauquarz schüttelte den Kopf, jetzt wieder ganz ernst. »Ich auch nicht, mein Schatz.«

    Die Hunde zögerten sichtlich, in das Gehölz vorzudringen, was ihrer Lautstärke jedoch keinen Abbruch tat. Der Lärm war fürchterlich, aber auch die eifrigsten Jäger beschieden sich offenbar gern damit, ein Stück höher am Hang zu warten, bis die Hunde das Wild ins Freie getrieben hatten.
    Der Reiz der Jagd lag für die meisten ohnehin nicht in der Beute, nicht einmal dann, wenn es um ein so ungewöhnliches Wild ging. Mindestens zwei Dutzend hoher Damen und Herren und ein Vielfaches an Bediensteten schwärmten über den Hang. Die Edelleute lachten
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