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Die Glasfresser

Titel: Die Glasfresser
Autoren: Giorgio Vasta
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erkläre ihr, dass das lustig ist, komisch, sage ihr, dass die Panik vergeht, am Ende zu Staub wird und sich in Existenz verwandelt, doch in der Mitte ihrer Stirn ist wieder diese kleine Falte aufgetaucht, in der sich die Missstimmung konzentriert: nicht so sehr Angst als Wut darüber, an der Nase herumgeführt worden zu sein.
    Ich gebe ihr ein Zeichen zu warten, Vertrauen zu haben, hole aus dem Rucksack mein rostiges Stück Stacheldraht und stecke es in die Mitte der Torte: unansehnlich und verbogen, sieht es aus wie ein buckliges Monster. Ich nehme auch das weiße Stück und platziere es daneben. Die Braut. Die Braut und das bucklige Monster. Mit einem Streichholz versuche ich, sie anzuzünden. Sie brennen nicht. Ich bin dickköpfig, versuche es wieder, halte die Spitze des Stacheldrahts in die Flamme, doch er brennt nicht, die Streichhölzer sterben mir eins nach dem anderen in den Fingern. Traurig setze ich mich hin und lasse den Kopf hängen. Ich betrachte meine Arme, wie sie sich im Halbdunkel des Zimmers rot färben, im Rhythmus der flackernden Kerzen, während nichts passiert. Dann berührt Wimbow hintereinander noch einmal ihre Brust, zeigt mit den Händen das Dach eines Hauses und macht das Zeichen für Weggehen; nach einer Pause streicht sie sich mit dem Mittel- und dem Ringfinger der rechten Hand übers Kinn.
    Ich verstehe nicht, doch ich verstehe. Hier will sie nicht bleiben.
    Inzwischen hat Wimbow einen Stuhl genommen und sich mir gegenüber hingesetzt. Sie legt die Finger der rechten Hand auf die Wange und streichelt sich sanft, zweimal, dreimal; neben uns, auf dem Tisch, die Torte mit dem nicht brennbaren Stacheldraht, die abgeknickten und schwarzen Streichhölzer.
    Wie alt sind wir jetzt?, frage ich mich und sehe den kleinen hellen Fleck auf ihrem Handrücken aufleuchten, und wo sind wir? Was ist aus der Zeit der Tiefe geworden, die ich mir vorgestellt hatte: die weiche Zeit, die flüssige Zeit, die materielle Zeit, die meinen Durst gestillt hätte? Warum gibt es an ihrer Stelle die
Wörter, Tausende von Sätzen, diese geordnete Masse von Insekten? Warum blitzt die Sprache noch auf, wenn ich nur in die Stille eintreten möchte, in deine Stille, wenn ich weinen möchte, statt nur das Bedürfnis danach zu verspüren? Einfach weinen.
    Ich stehe auf, gehe einen Schritt auf sie zu und beginne sie zu stoßen, immer stärker, brutal, und sie ist bestürzt und dann verängstigt, während ich weitermache und weitermache und ihren Körper schüttele und an Moranas Körper denke, an den Druck, an das Zerquetschen, an den schwindenden Atem, an die Stille - und für einen Augenblick flammen Wimbows Lippen auf, und aus ihrem Mund kommt ein Laut, etwas Animalisches, schwach und heiser, ihre ursprüngliche Stimme, und da gebe ich sie aus der Umklammerung frei, sie läuft hinten ins Zimmer und kauert sich in die Ecke zwischen Couch und Schaukelstuhl. Ich lasse mich wieder auf den Stuhl fallen, mir scheint, ganze Stunden vergehen. In einer Minute. Unser ganzes Leben gerinnt.
    Wir sind zwanzig Jahre alt, wir sind verliebt, und heute Abend haben wir ein Stück Pizza zum Mitnehmen gegessen, braun und mit Tomaten, die rot und zuckrig schäumen; wir sitzen auf den Stufen eines Hauseingangs, im Schutz eines Vordachs, während weiter unten alles im strömenden Regen versinkt, und von unseren Fingern krümelt und tropft es.
    Wir sind dreißig Jahre alt, wir leben zusammen und einmal, als ich gerade in der Badewanne sitze, geht das Licht aus und das Warmwasser funktioniert nicht, und da machst du in der Küche Wasser heiß, bringst es in einem Topf und siehst mich nackt, und ich, auch wenn wir uns nackt kennen, schäme mich und schaue auf die Knochen meiner Beine.
    Fünfunddreißig Jahre und ein früher Morgen. Wir sind im letzten Schlaf: du auf dem Bauch, einen Arm am Körper entlang ausgestreckt, ich auf der Seite liegend, dir zugewandt, du öffnest die Hand ein wenig und umschlingst mich mit den Fingern, sachte, unbewusst, und ich spüre im Halbschlaf, dass deine Hand schläft und ich ihr Traum bin; dann, wach, gehen wir auf den Balkon, um den Duft des Jasmins zu riechen.

    Wir sind fünfzig und haben vieles vergessen. Wir sind nicht mehr zusammen und treffen uns nie. Hin und wieder erinnert uns irgendetwas an eine Geste oder ein Wort, und wir betreiben, getrennt voneinander, Archäologie.
    Wir sind tausend Jahre alt und sind Biologie. Unsere Körper gibt es nicht mehr, sie sind etwas anderes. Dein Fuß ist ein Stein, meine
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