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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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Name von «Baubau» abgeleitet wird, dem «bösen Tier», mit dem Eltern ihren ungezogenen Kindern drohten.
    Rasch ging er zwischen den beiden Säulen von San Marco und San Teodoro hindurch, die weiß und ebenmäßig in den Abendhimmel ragten. Der Heilige und die Schimäre, die auf ihnen thronten, verloren sich in der Dunkelheit. Er lief schneller, denn seinem tief verwurzelten Aberglauben nach brachte es Unglück, sich längere Zeit hier aufzuhalten. Es war der Ort, an dem die Verbrecher hingerichtet wurden - man hängte sie entweder an den Säulen auf oder begrub sie lebendig an deren Fuß. Unwillkürlich schlug Corradino das Kreuzzeichen und musste gleich darauf über sich selbst lachen. Wie hätte er noch mehr Unglück auf sich laden können, als er ohnehin schon hatte? Er beschleunigte seinen Schritt.
    Doch, ein Unglück gäbe es noch, das mich gänzlich vernichten könnte: Wenn ich es nicht schaffe, meine letzte Aufgabe zu erfüllen.
    Corradino trat auf die Piazza San Marco. Alles, was ihm einst lieb und vertraut gewesen war, hatte jetzt fremde, geradezu unheimliche Züge angenommen. Im hellen Licht des Mondes wirkte der Schatten des Campanile bedrohlich - wie ein schwarzes Messer, das bereit war, auf sein Opfer niederzufahren. Aufgeschreckte Tauben umflatterten Corradinos Kopf wie böse Geister. Endlose Reihen dunkler Bogengänge, die sich rings um die Piazza zogen - wer konnte schon sagen, was in ihren Schatten lauerte? Durch das große, offene Portal warf Corradino einen Blick in das vom Kerzenglanz erhellte Gewölbe der Basilica di San Marco. Eine Insel aus Licht inmitten einer finsteren Welt - für einen kurzen Augenblick hob sich seine Stimmung bei diesem Anblick.
    Vielleicht ist es doch noch nicht zu spät, um sich in dieses Gotteshaus zu flüchten? Vielleicht gewähren mir die Priester noch Gnade und Zuflucht.
    Vergebens. Diejenigen, die ihn jagten, hatten auch den edelsteinbesetzten Schrein bezahlt, der die Knochen von Venedigs Schutzheiligem barg. Sie hatten die unermesslich kostbaren, glitzernden Mosaiken gestiftet, die die Wände der Kirche zierten und in denen sich jetzt das Kerzenlicht spiegelte. Dort gab es für Corradino keine Zuflucht, keinen Schutz. Und keine Gnade.
    Er eilte an der Basilika vorbei durch den Bogen des Torre deH'Orologio und gestattete sich lediglich einen kurzen Blick auf die riesige Uhr. An diesem Abend schienen die Phantasiegeschöpfe des Tierkreises in einem feierlichen Reigen über das Zifferblatt zu wandern, einem Totentanz gleich. Aber Abschied zu nehmen quälte ihn nur, also richtete er den Blick fest auf das Straßenpflaster. Doch auch das linderte seinen Schmerz nicht, denn plötzlich kamen ihm die schönen Tessere-Glasarbeiten in den Sinn, die er so oft verfertigt hatte. Dabei mussten unregelmäßig geformte, vielfarbige Glasbröckchen erhitzt und miteinander verschmolzen werden, bevor man aus der Masse ein herrliches Gefäß blasen konnte, zart und bunt wie die Flügel eines Schmetterlings.
    Ich weiß, ich werde niemals wieder Glas berühren.
    Als er die Merceria dell'Orologio erreichte, bauten die Markthändler gerade ihre Stände ab. Corradino kam bei einem Glashändler vorbei, der seine Waren wie Kleinodien aufweichen Kissen aufgebahrt hatte. Vor Corradinos innerem Auge begannen die Pokale und Glasperlenketten rosig zu glühen, und er sah, wie sich im Feuer ihre Formen auflösten. Er glaubte, wieder    die Hitze des Ofens zu spüren und den Geruch nach Schwefel und Quarzsand einzuatmen. Seit seiner Kindheit verband er mit brennendem Glas ein Gefühl von Geborgenheit. Jetzt jedoch erschienen ihm die heißen Werkstätten voller Schwefelqualm wie die Vorboten der Hölle. Und war das nicht der richtige Ort für einen Verräter? Für den Florentiner Dante bestand daran kein Zweifel. Würde er, Corradino, ebenso wie Brutus und Cassius und Judas von Luzifer verschlungen werden? Würden sich die Tränen des Teufels auch mit Corradinos Blut mischen, während sein Körper entzweigerissen wurde? Vielleicht würde er, Corradino, aber auch - wie es die verdienten, die ihre Familien verraten hatten - für alle Ewigkeit in einem See eingeschlossen, der durch den Frost nicht mehr aus Wasser, sondern aus undurchdringlichem Glas zu bestehen schien - «un lago che per gelo avera di vetro e non d'acqua sembiante ...» Corradino lächelte beinahe, als er sich an die Worte des Dichters erinnerte. Ja, das wäre eine durchaus passende Strafe; Glas war sein Leben gewesen, warum sollte
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