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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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Kirche zierten und in denen sich jetzt das Kerzenlicht spiegelte. Dort gab es für Corradino keine Zuflucht, keinen Schutz. Und keine Gnade.
    Er eilte an der Basilika vorbei durch den Bogen des Torre deH'Orologio und gestattete sich lediglich einen kurzen Blick auf die riesige Uhr. An diesem Abend schienen die Phantasiegeschöpfe des Tierkreises in einem feierlichen Reigen über das Zifferblatt zu wandern, einem Totentanz gleich. Aber Abschied zu nehmen quälte ihn nur, also richtete er den Blick schließlich est auf das Straßenpflaster. Doch auch das linderte seinen Schmerz nicht, denn plötzlich kamen ihm die schönen tessere-Glasarbeiten in den Sinn, die er so oft verfertigt hatte. Dabei mussten unregelmäßig geformte, vielfarbige Glasbröckchen erhitzt und miteinander verschmolzen werden, bevor man aus der Masse ein herrliches Gefäß blasen konnte, zart und bunt wie die Flügel eines Schmetterlings.
    Ich weiß, ich werde niemals wieder Glas berühren.
    Als er die Merceria dell'Orologio erreichte, bauten die Markthändler gerade ihre Stände ab. Corradino kam bei einem Glashändler vorbei, der seine Waren wie Kleinodien aufweichen Kissen aufgebahrt hatte. Vor Corradinos innerem Auge begannen die Pokale und Glasperlen rosig zu glühen, und er sah, wie sich im Feuer ihre Formen auflösten. Er glaubte, wieder die Hitze des Ofens zu spüren und den Geruch nach Schwefel und Quarzsand einzuatmen. Seit seiner Kindheit verband er mit brennendem Glas ein Gefühl von Geborgenheit. Jetzt jedoch erschienen ihm die heißen Werkstätten voller Schwefelqualm wie die Vorboten der Hölle. Und war das nicht der richtige Ort für einen Verräter? Für den Florentiner Dante bestand daran kein Zweifel. Würde er, Corradino, ebenso wie Brutus und Cassius und Judas von Luzifer verschlungen werden? Würden sich die Tränen des Teufels auch mit Corradinos Blut mischen, während sein Körper entzweigerissen wurde? Vielleicht würde er, Corradino, aber auch -wie es die verdienten, die ihre Familien verraten hatten - für alle Ewigkeit in einem See    eingeschlossen werden, der durch den Frost nicht mehr aus Wasser, sondern aus undurchdringlichem Glas zu bestehen schien - «un lagoche per gelo avera di vetro e non d'acqua sembiante ...» Corradino lächelte beinahe, als er sich an die Worte des Dichters erinnerte. Ja, das wäre eine durchaus passende Strafe; Glas war sein Leben gewesen, warum sollte es nicht auch sein Tod sein?
    Nicht, wenn ich noch dieses Letzte tue. Nicht, wenn ich mich von meinen Sünden befreien kann.
    Unvermittelt bog er vom Weg ab und schritt eilig über schmale Brücken und durch gewundene, calle genannte Gässchen zurück zur Riva degli Schiavoni. Hier und da brannten Kerzen in den Heüigennischen und erhellten mit ihrem Glanz das Gesicht der Jungfrau Maria.
    Ich wage es nicht, ihr ins Antlitz zu schauen, noch nicht.
    Endlich erblickte er den warmen Lichtschein, der aus dem Waisenhaus Ospedale della Pietä fiel, und hörte den leisen Klang der Violen, der aus dem Inneren drang.
    Vielleicht ist sie es, die da spielt - ich wünschte, es wäre so, aber ich werde es nie erfahren.
    Er ging an einem vergitterten Fenster vorüber, ohne einen Blick hineinzuwerfen, und schlug an die Tür. Als die Magd mit einer Kerze erschien, raunte er ihr, ehe sie fragen konnte, «Padre Tommaso - subitol» zu. Er kannte die Magd - ein mürrisches Frauenzimmer, das sich gern stur stellte -, doch heute Abend klang seine Stimme so eindringlich, dass sie sich auf dem Absatz umdrehte und davoneilte, um den Priester zu holen.
    «Signore?»
    Corradino öffnete seinen Umhang, zog einen mit Blattgold verzierten Lederbeutel hervor und steckte das Büchlein mit den Pergamentseiten hinein. Aus diesen Aufzeichnungen würde sie erfahren, was geschehen war, und vielleicht würde sie ihm eines Tages verzeihen. Er   blickte sich rasch in der düsteren Gasse um - nein, es konnte ihn niemand gesehen haben.
    Sie dürfen nicht wissen, dass sie das Buch hat.
    Corradino flüsterte so leise, dass nur der Priester ihn hören konnte: «Padre, nehmt dieses Geld für die Waisen der Pietä.» Mit den üblichen Dankesworten wollte der Geistliche nach dem Beutel greifen, doch Corradino hielt das Täschchen fest, bis er gezwungen war, ihm in die Augen zu blicken. Pater Tommaso allein sollte wissen, wer er war.
    «Für die Waisen», wiederholte Corradino mit Nachdruck.
    Überrascht weiteten sich die Augen des Priesters. Er hatte ihn erkannt. Der Geistliche drehte
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