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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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über der Klinge schloss. Jetzt blieb nichts außer einer kleinen Schramme an jener Stelle zurück, an der die Waffe in seinen Körper gedrungen war. Corradino kippte vornüber in den Kanal, und unmittelbar bevor er aufschlug, erblickte er zum ersten und letzten Mal in seinem Leben das Spiegelbild seiner Augen im Wasser. Er sah einen Narren, der über seinen eigenen Tod lachte. Dann schlugen die Wellen über seinem Körper zusammen, und er versank in den eisigen Tiefen, bis nichts als ein kleines Gekräusel auf der Wasseroberfläche zurückblieb.
    Salvatore Navarro, der neue Meister der Fondaria von Murano, beobachtete aus dem Schatten der Calle della Morta heraus entsetzt das Geschehen. Ein Handlanger der Zehn hatte ihm Zeit und Ort genannt und ihm unter Androhung der Todesstrafe befohlen, sich hier einzufinden. Angesichts der Tatsache, dass sein Vorgänger Giacomo del Piero in den Bleikammern den Tod gefunden hatte, hatte Salvatore nicht gewagt, sich zu widersetzen. Während er hilflos zusehen musste, wie der große Corradino Manin den Tod fand - ein Mann, zu dem er seit seiner Lehrzeit aufgeblickt hatte -, wurde ihm klar, dass er Zeuge des Geschehens sein sollte. Seine Aufgabe war es, nach Murano zurückzukehren und allen zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Es war eine Warnung an ihn und alle anderen Glasbläser.
     

Kapitel 39
    Das Notizbuch
    Alessandro stieg hinter dem Küster die enge Wendeltreppe empor, die sich aus der Sakristei nach oben wand.
    «Es ist eigentlich gar keine richtige Bibliothek», klärte der Küster ihn auf. «Früher einmal hatten wir hier eine bedeutende Sammlung handgeschriebener Partituren von Vivaldi. Als seine Popularität in den dreißiger Jahren immer mehr zunahm, wurde die Sammlung versichert und angemessen untergebracht. Sie befindet sich jetzt in einem Museum in Wien, dort, wo der Komponist starb. Studieren Sie die Musik Vivaldis?» Der Küster wartete Alessandros Antwort nicht ab, sondern rasselte mit der Routine eines Fremdenführers Einzelheiten aus dem Leben des Priesters und Komponisten herunter. Normalerweise hätte sich Alessandro sehr für diese Geschichten interessiert, heute aber musste er sich zwingen, höflich zuzuhören. Am liebsten hätte er sich an dem alten Mann vorbeigedrängt und wäre in die Bibliothek hochgestürmt. Mit jeder Stufe wuchs seine Nervosität. Als sie endlich vor einer alten Tür standen, sah er zappelig vor Ungeduld zu, wie der Küster seelenruhig mit einem Dutzend Schlüsseln herumhantierte, bis er schließlich den richtigen gefunden hatte. Die Tür öffnete sich.
    Durch ein einziges Bogenfenster fiel spärliches Licht in den kleinen Raum. Goldene Staubpartikel tanzten in den Sonnenstrahlen. In dem Luftzug, der durch die offene Tür drang, raschelte das Papier der alten Schriftstücke wie trockenes Herbstlaub. Zahllose Bücher, die keinen Platz mehr in den staubigen Regalen gefunden    hatten, türmten sich daneben in hohen Stapeln bis zur Decke. Alessandro achtete nun nicht mehr auf die Worte des Küsters, sondern blickte sich um. Wenn das, was er suchte, tatsächlich hier war, würde er es finden. Entschlossen wandte er sich an seinen Begleiter.
    «Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe, Signore. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich hier ein wenig umsehe? Ich möchte Sie nicht aufhalten, Sie haben sicher andere Dinge zu erledigen. Ich verspreche Ihnen, dass ich vorsichtig mit den Büchern umgehen werde.»
    Der Küster schaute zunächst verdutzt, doch dann bildeten sich in seinen Augenwinkeln kleine Lachfältchen. Er konnte Alessandros Interesse nur zu gut verstehen. Als Mann der Kirche brachte er allen Menschen Vertrauen entgegen und hatte daher nichts dagegen, ihn hier oben allein zu lassen. Er tätschelte Alessandros Arm. «Eine Privatangelegenheit, ich verstehe. Ich bin unten, wenn Sie mich brauchen.»
    Alessandro bedachte ihn mit seinem liebenswürdigsten Lächeln und wartete, bis sich der Mann entfernt hatte. Dann machte er sich an die Arbeit.
    Es gab hier etwa tausend Bücher. Das waren nicht allzu viele. Das, was er suchte, musste eigentlich an seiner Größe leicht zu erkennen sein. Wahrscheinlich würde seine Suche nur ein paar Stunden dauern.
    Doch schon nachdem er zwei der Stapel mit ledergebundenen Notenblättern und Gesangbüchern inspiziert hatte, sah er es. Zwischen zwei Bänden klemmte ein kleines Pergamentbüchlein mit einem kalbsledernen Einband - beste venezianische Handarbeit. Es hatte genau die erwartete
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