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Die Glasblaeserin von Murano

Die Glasblaeserin von Murano

Titel: Die Glasblaeserin von Murano
Autoren: Marina Fiorato
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Spiegelbild, dass er sich nicht umdrehte, als er das Geräusch des Schlüssels im Schloss hörte. Es konnte auch nur sein Meister sein, da keiner außer ihnen beiden einen Schlüssel besaß.
    So sah er die Hand nicht kommen, die ihn von hinten im Genick packte und sein Gesicht in das giftige Silber stieß.
     

Kapitel 37
    Der Frühling gebiert den Sommer
    Nicht zum ersten Mal wurde eine Frau, die ein Karnevalskostüm trug, mit Wehen in das Ospedale Civili Riunti di Venezia eingeliefert. Wie konnte es anders sein - man war hier schließlich in Venedig. Doch der Anblick dieser Primavera, die sich vor Schmerzen krümmte und der das von Fruchtwasser durchweichte Gewand an den Beinen klebte, erregte allgemeine Aufmerksamkeit und erweichte selbst das Herz der abgehärtetsten Gynäkologen.
    Im Kreißsaal mussten schnelle Entscheidungen getroffen werden. Die Signorina, die ohne Begleitung gekommen war, hatte lange bis zum Krankenhaus gebraucht, und obwohl es sich um ihr erstes Kind handelte, war die Geburt schon weit fortgeschritten. Für eine Epiduralanästhesie war es bereits zu spät. Die Nonnen gaben sich alle Mühe, Leonora Erleichterung zu verschaffen, doch abgesehen von den Schmerzen litt sie besonders darunter, dass sie allein hier war, in diesem Krankenhaus, in    dem sie selbst zur Welt gekommen war. Alle paar Minuten, wenn die Wehen sie überkamen und Krämpfe ihren Körper schüttelten, schrie sie nach Alessandro. Plötzlich fiel ihr ein, was Professore Padovani ihr über die Mutter der anderen Leonora erzählt hatte.
    Angelina dei Vescovi, die bei der Geburt starb ... bei der Geburt starb.
    Der Schmerz, den sie empfand, verringerte die Kluft zwischen den Jahrhunderten und stellte eine Verbindung zwischen ihr und jener lang verstorbenen jungen Frau her. In diesem Moment fühlte sich Leonora der anderen Frau - der anderen Mutter - ganz nah.
    Schließlich verlor Leonora für kurze Zeit das Bewusstsein, und die Nonnen dankten Jesus, dass ihr eine kleine Verschnaufpause vergönnt war. Es würde noch eine lange Nacht werden.
     

Kapitel 38
    Der heimliche Zeuge
    Corradino Manin warf einen letzten Blick auf die Lichter von San Marco. Von der Lagune aus wirkten sie im samtenen Dunkel der Abenddämmerung wie goldene Sterne am Firmament. Viele der Fensterscheiben, die seine Stadt wie kostbare Juwelen schmückten, hatte er mit seinen eigenen Händen geschaffen, und nun leiteten sie ihn auf dem letzten Stück des Lebensweges. Seinem Weg nach Hause.
    Als das Schiff auf den Campo San Zaccaria zusteuerte, vergaß er zum ersten Mal, sich auszumalen, wie man diesen Anblick in ein Glaskunstwerk im Pulegoso-Stil mit eingeschlossenen Luftbläschen, Blattgold und Lapislazuli umsetzen könnte. Der Gedanke, dass er das geliebte Bild wohl nie wieder sehen würde, nahm ihn gefangen. Einer Galionsfigur gleich stand er im Bug und sah nach links auf die gewaltige Masse der Santa Maria della Salute, die, von einer weißen Kuppel gekrönt, durch das Dunkel leuchtete. Der Grundstein für die große Kirche war in Corradinos Geburtsjahr 1631 gelegt worden, zum Dank an die Heilige Jungfrau, die die Stadt von der Pest befreit hatte. Seine ganze Kindheit und Jugend hindurch war das Bauwerk emporgewachsen, und nun, im Jahre seines Todes, war es noch immer nicht ganz vollendet. Er hatte den prachtvollen Anblick selten bei Tageslicht genießen können, und auch jetzt war keine Zeit dafür. Als er den Canal Grande überquerte, vernahm er den müden Ruf eines Fährmanns auf der Suche nach Fahrgästen für sein Traghetto. Das schwarze Boot erinnerte ihn an eine Trauergondel. Corradino erschauerte. Sollte er seine weiße Bauta-Maske abnehmen, sobald er den Fuß ans Ufer gesetzt hatte? Es war schließlich ein magischer Augenblick, und es wäre eine große Geste, passend zu seiner Heimkehr zur Serenissima.
    Nein, eines muss ich noch erledigen, bevor sie mich finden.
    Am Ufer legte er sich zum Schutz gegen die feuchten Abendnebel den schwarzen Umhang um und schritt, das Gesicht unter dem Dreispitz und der Bauta verborgen, quer über die Piazzetta. In seinem traditionellen Tabaro-Kostüm, schwarz von Kopf bis Fuß, bis auf die weiße Maske, würde er wohl lange genug unerkannt bleiben, um sein Vorhaben auszuführen. Die Bauta war eine geisterhaft wirkende Maske, die wie die Schaufel eines    Totengräbers geformt war. Sie hatte eine kurze Nase und ein langes Kinn, die den Klang der Stimme unheimlich verzerrten. Kein Wunder, dachte Corradino, dass ihr
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