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Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin

Titel: Die Gilden von Morenia 01 - Die Lehrjahre der Glasmalerin
Autoren: Mindy L. Klasky
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eingeprägt, welches das Meisterwerk ausmachte. Rani wusste, dass bei diesem speziellen Bogen kein Blei nötig war.
    Die Waffe eines Bogenschützen lehnte an dem Fenster.
    Noch während Rani die Gefahr erkannte, wurde der Bogen von dem Glas fortgenommen. Sie konnte sich vorstellen, wie ein Mörder auf dem Gerüst zurücktrat und die Spitze eines sorgfältig gespannten Pfeils vorsichtig zu einer einzelnen, fehlenden Glasscheibe führte. Rani glaubte, das Einspannen des Pfeils in die Sehne hören zu können. Sie konnte die Anspannung schwieliger Finger spüren, welche die Sehne ans Ohr des Bogenschützen zogen.
    Und Prinz Tuvashanoran kniete währenddessen ahnungslos vor dem Altar. Rani rang in der plötzlich beengenden Kathedrale nach Atem und erhob sich mühsam. Ihre Stimme hallte durchdringend und schrill über die betende Gemeinde hinweg. »Euer Hoheit! Zu den Waffen!«
    Wachen sprangen vor, noch bevor sie die fünf Worte beendet hatte. Tuvashanoran ging in Kampfposition, das ganze heilige Ritual vergessend, während er das Zeremonienschwert vom Altar ergriff. Die Bewegung ließ ihn sich in einem Halbbogen umwenden, bereits auf der Suche nach der Bedrohung, die mit einer Kinderstimme an ihn herangetragen wurde.
    Einen Augenblick lang war da nichts. Äußerste Stille ergriff die Gemeinde, den Priester, den Prinzen. Dann, mit der unglaublichen Stoßkraft eines herabstürzenden Falken, durchschnitt ein Lichtblitz den kobaltblauen Teich. Die Stille wurde vom zornigen Aufschrei eines Mannes durchbrochen, und Prinz Tuvashanoran wirbelte zu seinem Volk herum. Noch während die Menge auf den Altar zuwogte, konnte Rani den schwarz befiederten Pfeil aus der rechten Augenhöhle des Prinzen herausragen sehen.

2

    Rani warf sich gegen die wuchtigen Tore des Gildehauses und hämmerte so hart gegen das Schmiedeeisen, dass die Pfosten in ihren steinernen Verankerungen knirschten. »Bruder Torhüter!«, keuchte sie, denn sie konnte ihrem abgehackten Atem die Worte nur mühsam abringen. »Bruder Torhüter, lasst mich ein!«
    Sie schaute panisch hinter sich und rang verzweifelt nach Atem. Sie war fast zwei Stunden lang gelaufen. In der benommenen Stille, die ihrem Schrei in der Kathedrale gefolgt war, hatte Rani gar nicht erst versucht, durch das endlos lange Hauptschiff zu gelangen, sondern war stattdessen gleich aus dem Portal des Querschiffs getreten, alle ihre Kraft aufwendend, um die schweren Eichentüren zu öffnen.
    Obwohl Adrenalin in ihren Adern pochte, war sie beinahe nicht hindurchgelangt, da die hölzerne Masse von Moradas Gerüst die Türen blockierte. So musste sie sich seitlich hindurchzwängen und hatte nicht darauf geachtet, dass sich ihr kurzer, schwarzer Umhang am Türrahmen verfing.
    Es weilten noch immer große Menschenmengen enttäuschter Bürger auf dem Gelände der Kathedrale, die einen Blick auf die Initiation zu erhaschen hofften, und die Horden wurden zunehmend undurchdringlich, als Gerüchte die Runde zu machen begannen. Als Rani den Bereich der Kathedrale schließlich verlassen hatte, lief sie panisch in entgegengesetzter Richtung der Gilde davon, mühte sich eine ganze Stunde lang durch das Soldatenviertel, bevor sie sich aus dessen Straßen befreien konnte.
    Als sie zu den vertrauten Seitenwegen ihres Elternhauses im Händlerviertel kam, hatte sich Panik wie Asche über die Stadt gesenkt. Sie sah zwei Mal Kompanieabteilungen grimmiger Soldaten die engen Pflasterstraßen hinablaufen, deren Leutnants laut den Marschrhythmus vorgaben. Händler schlossen ihre Stände, während die Sonne noch immer schien, und hektische Mütter riefen Kinder in die Sicherheit dunkler Hauseingänge.
    Rani war versucht gewesen, zu ihrer Familie zu laufen, hatte aber widerwillig erkannt, dass sie zuerst ihre Gilde warnen musste. Sie war jetzt ein Lehrling, keine Händlerin mehr, und sie musste ihren Brüdern und Schwestern von Moradas Untat berichten, selbst wenn das bedeutete, ihre eigene, ungewollte Mitschuld an Prinz Tuvashanorans Tod zu offenbaren. Obwohl inzwischen die halbe Stadt zwischen ihr und dem Prinzen lag, konnte Rani noch immer die karmesinroten Spuren auf Tuvashanorans entsetzlich blasser Haut sehen. Es bestand keine Chance, dass er noch lebte.
    »Bruder Torhüter!«, schrie sie erneut. Verzweiflung schnürte ihre Kehle zu, während sie sich den Kopf zermarterte, welches der Gildemitglieder Tordienst hatte. Ihre Schreie blieben ungehört; sie verließ das Tor und schlich die Gasse entlang, die den Gildegarten
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