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Die Gewandschneiderin (German Edition)

Die Gewandschneiderin (German Edition)

Titel: Die Gewandschneiderin (German Edition)
Autoren: Doris Niespor
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bewusst, als die erste Frau mit dem Finger auf sie deutete, einen raschen Blick zum Kardinal warf und die Hand schnell wieder zurückzog. Anna sah sich achtsam um. Mehrere der Frauen hatten ihre Blicke auf sie gerichtet, tuschelten und gestikulierten aufgeregt. Verunsichert schaute Anna an sich hinunter. War eine Naht eingerissen? Hatte sie sich beschmutzt? Sie fand nicht heraus, was die Gemüter so erregte. Die Messe dehnte sich zu einer schieren Unendlichkeit.
    Endlich stand Anna wieder auf dem Domplatz. Sie hatte ihr Gewand, die beiden Schuhe, Hände und Haar mehrmals überprüft, es gab nichts daran auszusetzen.
    “Verzeiht die Frage …”
    Eine nicht mehr ganz junge Frau in schönem Violet t, das zu ihren sorgfältig gelegten schwarzen Flechten passte, blieb dicht vor Anna stehen, gefolgt von einer Magd.
    “Gern.”
    “Fürstin zu Welm. Ich hörte, die Gewänder des Kaisers und der Kaiserin wurden in Eurer Werkstatt gefertigt. Ist es so?”
    Anna nickte.
    Die Frau winkte der Magd, und die zog einen prall gefüllten Beutel aus ihrem Korb.
    “Würdet I hr auch für mich arbeiten? Ich hätte gern ein Gewand, das dem Hochzeitskleid der Kaiserin ähnelt. Die Ärmel dürfen durchaus eng sein, aber lang und üppig sollte es schon wirken.”
    Hinter der Fürstin hatte sich eine kleine Menschenschlange gebildet. Gut betuchte Frauen mit Dienstvolk warteten, bis die Gewandschneiderin Zeit für sie fand.
    Anna stockte der Atem. Daher die Aufregung! Die Frauen hatten erfahren, dass sie die Schneiderin war.
    “Zuerst sind noch etliche Gewänder für die Kaiserin zu fertigen, sie hat nichts Passend es für den heißen Sommer. Aber wenn Ihr bis nach Lichtmess warten könnt und einen Boten schickt, falls der Hof schon weitergezogen ist …”
    “Sicher, sicher, wenn Ihr es für mich schneidert ...”
    “Dann is t es mir eine Freude, Fürstin.”
    Die Fürstin von Welm strahlte und drückte Anna den Beutel in die Hand. “Eine kleine Anzahlung. Teilt meinem Boten mit, wie viel ich noch schulde, wenn er den Stoff und die Schnüre bringt. Oder messt Ihr selbst? Nein”, beantwortete sie die Frage gleich, “sicher habt Ihr viel zu viel zu tun. Ich schicke den Boten.”
     
    Sie konnte es kaum glauben. Nach dem fünften Auftrag hatte Anna die übrigen Frauen gebeten, nach Ostern Boten zu schicken, weil sie durcheinanderzukommen fürchtete. Ihr schwoll das Herz vor Stolz. Die feinen Damen mochten ihre Gewänder. Nicht eine hatte auf weiten Ärmeln bestanden, es schien, als ob sie selbst bestimmen könne, was zeitgemäß war. Anna wünschte, Meister Spierl hätte das noch erlebt.
    Sie müsste eine Zunäherin einstellen.
     
    Jeder Fleck innerhalb der Mauern war geschmückt. Tische drängten sich aneinander, Feuer brannten unter schweren Kesseln, und Fässer standen in hölzernen Gestellen, bereit zum Anstich. Die auserwählten Gäste, denen Heinrich der Kämmerer mitgeteilt hatte, dass sie im Steinhaus an der Tafel des Kaisers feiern durften, drängten sich durch das Schwibbogentor und eilten zielstrebig nach links. Anna schlenderte rechts herum und bahnte sich zwischen den Tischen und Menschen einen Weg zur Kapelle.
    “Anna , Anna!” Alimah, die stämmige Gestalt in spinnwebenfeine grüne und blaue Seide gehüllt, kämpfte sich mit kräftigen Ellbogenstößen durch die Menge.
    “ Komm mit mir hinein! An unserem Tisch ist noch ein Kissen frei.”
    Anna war hin- und hergerissen. Es zog sie in Friedrichs Nähe, aber das Paar so glücklich vereint zu sehen …
    Alimah zog sie am Ärmel. “Los, gleich beginnt es. Was ist mit dir?”
    “Ich … er… ich glaube, er mag mich nicht mehr”, stieß Anna hervor.
    “Nur weil er dir den Kop f gewaschen hat? Geschieht dir recht, du dummes Ding. Was verärgerst du ihn auch? Und nun komm!” Alimah zog erneut, diesmal heftiger. Als Anna ein Krachen in der Ärmelnaht hörte, gab sie auf und folgte gehorsam.
    Im Innern des Steinhauses war es angenehm kühl. Die niedrigen Tische mit den runden Sitzkissen ringsum waren besetzt, der Thron jedoch war noch leer. Beim Duft der Speisen lief Anna das Wasser im Mund zusammen. Gebratene Hühner, knusprige Ferkel, mit Spießen in Gestellen auf den Tisch gebracht, Reh, Brot und Obst türmten sich auf den Tischen; Mundschenken warteten mit Weinschläuchen auf einen Wink. In Alimahs Schlepptau lief Anna zwischen den festlich gekleideten Gästen hindurch. Die Köchin führte sie zu einem Tisch, an dem die Verschleierten aus dem Frauentrakt saßen.
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