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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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ausweichende Antwort geben wollen, aber er, Gutwetter, hat nicht lockergelassen. Es ist soweit, es ist sicher wie Tod, Seele und Auferstehung, der Minerva-Verlag wird die Lessing-Biographie bringen. Mit seiner ruhigen, leisen Stimme erzählte er das und schaute seinen Freund Gustav still und überaus freundlich an.
    »Was heißt sicher wie Seele und Auferstehung?« fragte Mühlheim. »Meinen Sie hundertprozentig sicher oder hundertprozentig unsicher?« – »Ich meine sicher, schlechthin sicher«, erwiderte mit unerschütterlicher Freundlichkeit Gutwetter.
    Aber sie hatten es nicht leicht, einer den andern zu verstehen; denn Gustav war lärmend hochgesprungen, er packte den breiten, stillen Gutwetter an beiden Schultern, schüttelte ihn, schlug ihm unter lärmenden Freudenbezeigungen den Rücken.
    Später, als Herr Gutwetter mit Sybil allein war, sagte er mitseiner ruhigen, heiteren, treuherzigen Stimme: »Wie leicht ist es, die Menschen glücklich zu machen. Eine Biographie. Was ist eine Biographie? Als ob etwas anderes zählte als das schöpferische Werk. Aber da kramt einer herum in den Abfällen, in der sogenannten Wirklichkeit, im Abgelebten, und ist glücklich. Welch ein Kind, unser Freund Gustav.« Sybil schaute nachdenklich in seine großen, leuchtenden Kinderaugen. Friedrich Wilhelm Gutwetter galt als einer der ersten deutschen Stilisten, vielen als der Erste. Sybil, die sich mit ihren kleinen Erzählungen gewissenhaft herumplagte, bat ihn um Hilfe für einen bestimmten Satz, mit dem sie nicht zurecht kam. Gutwetter wußte Rat. Freudig, verehrungsvoll sah er auf die gelehrige Schülerin.
    Gustav aber war ganz angefüllt mit Fröhlichkeit, fand die Welt großartig, wollte allen ringsum Gutes tun. Teilte auch dem Diener Schlüter ausführlich die Freudenbotschaft mit, die Friedrich Wilhelm Gutwetter ihm gebracht hatte. War glücklich.
    Als die ersten seiner Gäste eingetroffen waren und in gezwungener Unterhaltung beieinanderstanden, hatte Gustav befürchtet, es werde ein trüber Abend. Es war gewagt, so verschiedenartige Leute zusammenzubringen. Aber gerade das schien ihm das Reizvolle an seiner Lebensführung, daß er Getrenntes organisch mischte. Er wollte es, er hatte sich darauf versteift, an diesem Abend alle um sich zu versammeln, die für ihn von Bedeutung waren, seine Familie, die Herren des Geschäftes, seine Freunde aus der Bibliophilengesellschaft, aus dem Theaterklub, seine Sportfreunde, seine Frauen. Jetzt nach dem Essen sah er mit Freude, daß die guten, leichten Gerichte des sorgfältig zusammengestellten Menüs die einzelnen gelockert hatten, so daß die frühere Starrheit wegschmolz.
    Da standen und saßen sie zusammen, seine Gäste, ihrer zwanzig, in Gruppen, doch so, daß keine Gruppe sich ganz von der andern sonderte, angenehm schwatzend. Man sprach über Politik, das ließ sich jetzt leider niemals vermeiden. Amungeniertesten gab sich, wie immer, Jacques Lavendel. Breit und faul im bequemsten Sessel lehnend, die listigen, gutmütigen Augen halb geschlossen, hörte er mit spöttischer Nachsicht zu, wie Karl Theodor Hintze die völkische Bewegung in Bausch und Bogen verurteilte. Nach Prokurist Hintze waren ihre Anhänger allesamt Dummköpfe oder Schwindler. Herrn Jacques Lavendels breites Gesicht lächelte aufreizende Duldsamkeit. »Sie werden den Leuten nicht gerecht, lieber Herr Hintze«, sagte er mit seiner freundlichen, heiseren Stimme, den Kopf wiegend. »Das ist ja die Stärke dieser Partei, daß sie die Vernunft ablehnt und an den Instinkt appelliert. Es gehört Intelligenz dazu und Willensstärke, das so konsequent durchzuführen wie diese Burschen. Die Herren verstehen sich auf ihre Kundschaft wie jeder gute Geschäftsmann. Ihre Ware ist schlecht, aber gängig. Und ihre Propaganda, first-class, sage ich Ihnen. Unterschätzen Sie den Führer nicht, Herr Hintze. Das Möbelhaus Oppermann könnte froh sein um so einen Propagandachef.«
    Herr Jacques Lavendel sprach nicht laut, dennoch, ohne viel Gewese, erzwang sich seine heisere Stimme Gehör. Aber man war nicht willens, ihm zuzustimmen. Hier, in den kultivierten Räumen Gustav Oppermanns, war man nicht geneigt, einer so blödsinnigen Sache wie der völkischen Bewegung im Ernst Chancen zuzugestehen. Die Bücher Gustav Oppermanns standen an den Wänden, Bibliothek und Arbeitszimmer gingen schön ineinander, das Bildnis Immanuel Oppermanns schaute schlau, gutmütig, ungeheuer real auf die Versammlung. Man stand auf festem Grund,
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