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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Vielmehr schwatzt er weiter, herzlich, munter. Allein Sybils Geschenk hat in ihm gegen seinen Willen wieder jenes schlummernde Gefühl angerührt, das er nie hochkommen lassen will, daß nämlich Sybil, trotzdem sie beide den guten Willen haben, ganz zusammenzugehören, immer an der Peripherie seines Daseins bleibt.
    Sybil mittlerweile steht vor dem Porträt des alten Oppermann. Sie weiß, wie sehr Gustav an dem Bilde hängt, freut sich, daß es nun da ist, rühmt mit kennerischen Worten, wie gut es sich im Arbeitszimmer ausnimmt. Sie schaut sich das Bild genau an, abwägend, wie es ihre Art ist, den schlauen, behaglichen, glücklichen Mann. »Es paßt alles gut zusammen«, sagt sie schließlich, »der Maler, der Mann und seine Zeit, und es paßt gut hier herein. Wie es diesem Immanuel Oppermann wohl in unserer Zeit ginge?« fragt sie nachdenklich. Das war keine dumme Anmerkung und keine fernliegende. Es lohnte, darüber nachzudenken, wie ein Mann vom Schlage Immanuels in unserer Zeit bestehen würde. Dennoch gab auch diese Anmerkung Sybils Gustav einen kleinen Stich.
    Ja, es war eine verschollene Zeit, in der Immanuel Oppermann gelebt hat, trotzdem sie ihm, Gustav, noch sehr lebendig war. Wie klein erschienen ihre Sorgen, wie einfach ihre Probleme, wie langsam, gradlinig, langweilig war ein Leben verlaufen wie das Immanuel Oppermanns, verglich man esmit dem Leben eines Durchschnittsmenschen von heute. Natürlich war Sybils Bemerkung harmlos gewesen, sie drängt sich geradezu auf vor dem Bilde. Dennoch hatte Gustav, ungerechterweise, die Empfindung, als wäre sie gegen ihn selber gerichtet. Die Uhr tickte, das »Auge Gottes« wanderte hin und her und schaute zu, wie die Zeit verwendet wurde. Sybil stand vor dem Bild des verschollenen Mannes. Das Gefühl der Müßigkeit war wieder da, jenes kleine, störende Unbehagen, das Gefühl der Leere von heute morgen.
    Er war froh, als Schlüter meldete, das Essen sei bereit. Es wurde ein fröhliches Mittagessen. Gustav Oppermann verstand einiges von guter Küche. Sybil Rauch hatte eine Menge amüsanter Einfälle und wußte sie nett und persönlich auszudrücken. Ihr süddeutscher Akzent klang angenehm in Gustavs Ohr. Er war fünfzig Jahre und sehr jung. Er strahlte.
    Vollends glücklich war er, als gar zum Nachtisch Professor Arthur Mühlheim kam, sein Freund, und mit ihm Friedrich Wilhelm Gutwetter, der Novellist. Die beiden waren die rechte Ergänzung für Gustav und Sybil.
    Arthur Mühlheim, kleiner, quicker Herr mit faltigem, lustigem, gescheitem Gesicht, ein paar Jahre älter als Gustav, immer zappelig, zu hundert Witzen aufgelegt, einer der besten Juristen Berlins, hatte ähnliche Neigungen wie Gustav. Die beiden gehörten dem gleichen Klub an, liebten die gleichen Bücher, die gleichen Frauen. Arthur Mühlheim interessierte sich außerdem für Politik, Gustav Oppermann für Sport, so hatten sie immer reichlich Stoff einer für den andern. Mühlheim hatte Gustav eine große Sendung ausgesuchten Kognaks und Branntweins geschickt, nur Jahrgänge aus Gustavs Geburtsjahr; er hielt es für bekömmlich, Getränke zu nehmen, die das gleiche Alter hatten wie man selber.
    Friedrich Wilhelm Gutwetter, ein kleiner Herr von etwa sechzig Jahren, sehr gepflegt, in betont altertümlicher Tracht, riesige Kinderaugen in dem stillen Gesicht, war ein Dichter sehr sorgfältig gefeilter Geschichten, die von der Kritikhochgerühmt, von sehr wenigen Leuten gelesen und geschätzt wurden. In den seltenen Augenblicken, wenn Gustav die betriebsame Leere seines Lebens kratzte, dann sagte er sich, er habe deshalb nicht umsonst gelebt, weil er Gutwetter gefördert habe. Tatsache war, daß Gutwetter ohne die Unterstützung Gustavs bitterste Entbehrung hätte leiden müssen.
    Friedrich Wilhelm Gutwetter saß still und freundlich da, schaute aus seinen großen Augen verehrungsvoll und begehrlich auf Sybil, mußte sich oft die hurtigen Witze Mühlheims erklären lassen, ehe er sie verstand, und warf langsame Bemerkungen allgemein poetischer Art in das laute, muntere Gespräch der andern.
    Er hatte ein Geschenk für seinen Freund mitgebracht, aber er sprach erst nach zwanzig oder dreißig Minuten davon; das schnelle Gespräch der andern und der Anblick Sybils hätten ihn sein Geschenk ganz vergessen lassen. Also denn, er hat eine Unterredung mit Dr. Dorpmann gehabt, dem Chef des Minerva-Verlags, seinem Verleger. Er hat von der Lessing-Biographie gesprochen. Dr. Dorpmann, wie diese Verleger sind, hat eine
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