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Die geschützten Männer

Die geschützten Männer

Titel: Die geschützten Männer
Autoren: R Merle
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Haar, römische Züge und auf den Wangen so schwarze |25| und kräftige Stoppeln, daß er immer wie unrasiert aussieht. »Mach dich darauf gefaßt, jeden Moment verhaftet zu werden«, sagt
     Luigi.
    Nachdem er seinen kleinen Auftritt gehabt hat, beruhigt sich Luigi, hört mir zu und verfaßt mit mir, jedes Wort auf die Goldwaage
     legend, eine Erklärung für die
New York Times
, in der ich die Tatsachen richtigstelle. Dann entfernt er sich majestätisch, mit meinem Text, und empfiehlt mir, mit Anita
     erst am nächsten Tag in Verbindung zu treten, wenn meine Erklärung erschienen ist.
    Doch am nächsten Tag – es ist ein Sonnabend – habe ich keine Zeit, Anita meine Rückkehr mitzuteilen. Um acht Uhr kommen zwei
     Polizisten – glücklicherweise schläft Dave noch – , und der ältere (der weit eher wie ein Universitätsprofessor aussieht,
     nicht wie einer von der Polizei) sagt höflich zu mir:
    »Dr. Martinelli, ich habe ihnen nur eine einzige Frage zu stellen. Trifft es zu, daß Sie nach Ihrem Rücktritt eine Kopie Ihres
     Berichts behalten haben?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Darf ich Sie bitten, mir diese Kopie zu zeigen?«
    »Das ist heute nicht möglich. Sie liegt in meinem Safe in der Bank. Und die Bank hat geschlossen.«
    »Wann haben Sie diese Kopie in Ihren Safe gebracht?«
    »Am Tage meines Rücktritts: am 28. September.«
    »Und sind Sie seitdem wieder in der Bank gewesen?«
    »Nein. Ich bin am 29. nach Jamaika abgereist und erst gestern abend zurückgekehrt.«
    Er nickt mit liebenswürdiger Miene. Ein merkwürdiger Polizist. Fünfzig Jahre, nachdenkliche Augen hinter einer dicken Brille,
     hohe Stirn, gutmütiges Gesicht und nicht zu überbietende höfliche Manieren.
    »Gut«, sagt er. »Wenn es Ihnen recht ist, holen wir Sie Montag früh ab, um Ihren Safe in der Bank zu öffnen. Und darf ich
     Sie bitten, Dr. Martinelli, bis dahin in Washington zu bleiben und keine Journalisten zu empfangen.«
    Sie gehen. Ich bin außer mir. Die Tatsache, daß ich nach meinem Rücktritt eine Kopie meines Berichts behalten habe, belastet
     mich ohne Zweifel. Doch ich habe es nur Anita gesagt. Offensichtlich hat sie mich verraten.
    Ich nehme den Hörer ab und rufe sie an.
    |26| »Anita?«
    »Bist du es, Ralph?«
    Die in der Stimme mitschwingende Freude schneidet mir ins Herz. Ich reiße mich zusammen und sage sehr kurz, ohne die Stimme
     zu heben: »Anita, ich habe dir nur eins zu sagen. Nach diesem kleinen Bravourstück von Denunziation, das du dir geleistet
     hast, kann für mich keine Rede mehr davon sein, dich zu sehen, dich zu hören oder mit dir zu sprechen.«
    Ich hänge auf. Meine Beine zittern, und der Schweiß rinnt mir über die Wangen.
     
    Ich verbringe ein sehr schlechtes Wochenende. Dieser sanfte Polizist verheißt mir nichts Gutes. Ich bin darauf gefaßt, am
     kommenden Montag verhaftet zu werden, und ohne Luigis Rat wäre ich fast versucht, sofort zu fliehen und mich mit Dave irgendwo
     zu verstecken. Ich sehe eine grausame Ungerechtigkeit darin, daß ich in dieser Affäre als einziger versucht habe, meine Pflicht
     zu tun, und nun als einziger vom Arm des Gesetzes bedroht werde.
    Nicht weniger bin ich über Anitas Verhalten bestürzt, auch weil ich das Gefühl habe, daß ich übereilt und zu brutal Schluß
     gemacht habe, ohne ihr Zeit zu lassen, sich zu erklären. Ich kann einfach nicht glauben, daß sie mich verraten hat, sosehr
     ich mir das einzureden versuche.
    Und noch etwas. Am Sonnabend nachmittag, als ich im Taxi durch das Zentrum fuhr, sah ich einen Mann plötzlich auf dem Bürgersteig
     zusammenbrechen. Das konnte durchaus etwas ganz anderes als die Enzephalitis 16 sein. Doch ich ließ das Taxi nicht halten.
     Der Selbsterhaltungstrieb siegte über meine berufliche Pflicht. Seither denke ich unablässig an dieses Versagen, und ich kann
     es mir nicht verzeihen.
    Endlich kommt der Montag; gleich um neun erscheint der ältere Polizist, allein. Mit liebenswürdiger Miene nennt er erneut
     seinen Namen, V. C. Moore, doch sitzt er während der ganzen Fahrt zur Bank schweigend neben mir. Ich öffne meinen Safe und
     reiche ihm die Kopie des Berichts.
    Er blättert darin, und zwar mit System. Auf einem kleinen Zettel hat er Seitenzahlen notiert. Seine Prüfung dauert nicht länger
     als fünf Minuten. Danach schließt er die Akte und gibt sie mir mit sanftem Lächeln zurück.
    |27| »Dr. Martinelli, jetzt sind Sie völlig aus der Affäre heraus. Und ich bin froh darüber. Ich habe niemals wirklich
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