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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers
Autoren: Wingfield Jenny
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sie wusste auch, dass das nichts ändern würde. Niemand auf Gottes grüner Erde würde glauben, dass Samuel Lake einen Menschen getötet hatte. Jedenfalls nicht, wenn sie die Wahl hatten zwischen ihm und Toy Moses. Nachdem sich der Schock ein wenig gelegt hatte, überraschte es Calla nicht mehr, dass Toy die Schuld auf sich genommen hatte. Das war genau das, was sie von ihm erwartet hätte, hätte sie sich eine solche Situation vorher vorstellen können. Und trotzdem trauerte sie.
    In dieser Nacht saß Calla mit einer Schachtel alter Fotos in ihrem Zimmer und breitete die Bilder auf ihrem Bett aus. Sie zeigten ihre Kinder, als sie noch jung waren und das Leben noch vor sich hatten. Vier Söhne und eine Tochter. Ein Sohn war ihr bereits vor Jahren genommen worden, und nun hatte sie ein weiterer verlassen. Nach einer Weile packte sie die Fotos wieder zusammen und behielt nur eines in der Hand: Auf ihm war Toy zu sehen, an dem Tag, an dem er zur Armee gegangen war. Sie betrachtete es, während sie in ihrem Lehnstuhl saß und Gott um ein weiteres Wunder bat.
    Calla hätte gern geglaubt, dass ihr das Wunder gewährt werden würde. Dass sie am Morgen aufwachen würde und Toy dann zu Hause wäre. Early Meeks würde in der Küche sitzen und Kaffee trinken, und er würde sagen, dass doch keine Anklage erhoben wurde, weil Ras Ballenger den Tod so sehr verdient hatte, dass es eigentlich keine Rolle spielte, wer ihn umgebracht hatte.
    Doch Calla wusste es besser. Sie hatten an diesem Tag bereits ein Wunder erfahren. Ein großes Wunder. Und nun verlangte sie ein weiteres. Wie sie die Dinge sah, gab es Wunder in dieser Größenordnung nur ein einziges Mal im Leben.
    In Bezug auf Blade hatte Calla durchaus recht. Er hatte das Gefühl, nicht mehr auf die Moses-Farm zu gehören, und als alle am nächsten Morgen aufstanden, war er verschwunden. Samuel und Willadee machten sich Sorgen um ihn und hätten sich gern vergewissert, dass mit ihm alles in Ordnung war, doch Samuel konnte unmöglich zum Haus der Ballengers fahren und sich nach dem Jungen erkundigen. Auch Willadee hätte er nicht hinfahren lassen, selbst wenn sie bereit gewesen wäre, von Swans Seite zu weichen, was sie aber nicht war. Noble und Bienville boten an hinzugehen, doch das kam für Samuel und Willadee überhaupt nicht infrage.
    Es war Calla, die zu den Ballengers rübergehen würde. Es gab keine Menschenseele auf dieser Welt, die dieser Frau sagen konnte, was sie zu tun oder zu lassen hatte, und sie weigerte sich sogar, sich von jemandem fahren zu lassen. Sie hatte im Büro des Sheriffs angerufen und erfahren, dass sie Toy erst nach der Anklageerhebung sehen konnte, die gegen Mittag zu Ende sein würde, also machte sie sich nach dem Frühstück auf den Weg. Sie ging zur Tür hinaus und die Straße hinunter, setzte immer einen Fuß vor den anderen.
    Als sie das Grundstück der Ballengers erreichte, standen einige Autos auf dem Hof. Es waren keine Polizeiwagen. Die waren ebenso wie der Krankenwagen in der Nacht gekommen und bereits wieder verschwunden. Calla Moses hatte die Sirenen gehört. Jetzt waren in erster Linie Familienangehörige von Geraldine und Ras gekommen, zumeist ungehobelt aussehende Leute. Einer von ihnen, ein Mann in Toys Alter, stellte sich Calla auf dem Hof in den Weg und erklärte ihr, sie sei hier nicht willkommen.
    »Das weiß ich«, sagte sie, »und ich werde auch nicht lange bleiben. Danke, dass Sie mich durchlassen.«
    Was blieb ihm anderes übrig, als zur Seite zu treten?
    Calla hatte Blade bereits erblickt, bevor sie ins Haus ging. Ihn durch die Fliegengittertür gesehen. Seine Mutter saß auf einem Stuhl und hielt ein Baby und eine Schachtel Kleenex auf dem Schoß. Blade stand neben dem Stuhl wie ein Mann, zwei kleinere Jungen saßen auf dem Fußboden, der größere nuckelte am Daumen und schniefte.
    Als Calla ins Zimmer trat und Blade sie entdeckte, meinte sie zu spüren, wie sich sein Herz überschlug. Geraldine starrte Calla wütend mit geröteten Augen an. Offenbar war ihr Mann in ihrer Erinnerung schon zu einem sehr viel liebenswerteren Gatten mutiert, als er jemals einer gewesen war. Vielleicht aber war sie auch nur schockiert über das, was nach seinem Tod mit ihm geschehen war. Was die Hunde getan hatten. Calla hatte davon gehört. Early hatte es erwähnt, als sie mit ihm telefoniert hatte. Geraldine riss mehrere Kleenex-Tücher aus der Packung und putzte sich lautstark damit die Nase.
    »Sie sind hoffentlich nicht gekommen, um zu
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