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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers
Autoren: Wingfield Jenny
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tun, als nach Hause zu seiner Familie zu fahren, hatte aber nicht damit gerechnet, dass das so einfach möglich sein würde. Er hatte kaum zu hoffen gewagt, dass es überhaupt möglich sein würde. Zumindest für viele Jahre.
    Samuel erklärte Early, er wisse sein Vertrauen zu schätzen und freue sich, noch eine Weile bei seiner Frau und den Kindern bleiben zu können. Es würde später für alle sehr schwer werden, und er sei froh, noch etwas mehr Zeit zu haben, um die Familie auf die Zukunft vorzubereiten, bevor er schlussendlich eingesperrt würde.
    »Niemand wird Sie einsperren, Samuel«, sagte Early. »Ich kann wohl kaum zwei Männer wegen des gleichen Verbrechens anklagen, oder? Und Toys Geschichte klingt um ein Vielfaches realistischer.«
    Samuel musste sich an der Kante von Earlys Schreibtisch festhalten, um nicht umzukippen.
    Während er noch immer zu fassungslos war, um auch nur ein Wort zu sagen, fügte Early hinzu: »Und Sie brauchen auch nicht herumzuerzählen, was mit Swan passiert ist. Sie muss schon mit genug fertigwerden, auch ohne dass sie das Gefühl hat, alle Welt würde sie anstarren.«
    Wenige Minuten später stand Samuel seinem Schwager gegenüber. Early hatte Bobby Spikes, der Nachtdienst hatte, angewiesen, Samuel zu ihm zu bringen. Toy stand in seiner Zelle, seine Ellbogen ragten durch die Gitterstäbe, und er wirkte so entspannt wie schon lange nicht mehr. Samuel im Gang war dagegen aufgewühlt und fühlte sich hundeelend.
    »Das kannst du nicht machen«, sagte Samuel.
    »Es ist bereits geschehen«, erwiderte Toy.
    Es war dämmrig in der Zelle, denn in diesem Teil des Gebäudes brannte um diese späte Uhrzeit nur noch wenig Licht. Toys Gesicht lag im Schatten, sodass all seine Runzeln und Falten, die er auf so schmerzliche Weise erworben hatte, kaum zu sehen waren.
    »Aber du bist doch nicht schuldig«, widersprach Samuel, »ich bin es.«
    Toy blickte zu Bobby Spikes hinüber, der wahrscheinlich nicht zuhören sollte, es aber trotzdem tat. Obwohl der Deputy sie nicht beobachtete, spitzte er doch ein Ohr in ihre Richtung.
    »Du bist ganz durcheinander, Samuel.« Toy blickte demonstrativ zu Bobby in der Hoffnung, dass Samuel verstehen und mitspielen würde. Er glaubte zwar nicht daran, hoffte es aber dennoch. »Als ich Swan dermaßen geschunden nach Hause gebracht habe, hat das anscheinend was mit deinen Nerven angestellt.«
    Geschunden. Nicht vergewaltigt. Nicht zutiefst geschädigt. Geschunden .
    Samuel starrte Toy an. Er verstand nun, warum sein Schwager so gehandelt hatte. Warum er die Schuld auf sich nahm und sein Bestes tat, um zu verheimlichen, was mit Swan geschehen war. Er tat es für Swan . Alles. Damit sie nicht ohne ihren Daddy aufwachsen musste und die Leute nicht mit Fingern auf sie zeigen und hinter vorgehaltener Hand über sie reden würden. Trotzdem log Toy, und waren Lügen im Spiel, dann konnte nichts Gutes dabei herauskommen.
    »Das kannst du nicht machen«, sagte er noch einmal.
    »Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte Toy. »Ich bin ein kaltblütiger Mörder und muss dafür büßen. Stimmt’s nicht, Bobby?«
    Bobby Spikes sah ihn mit einem Blick an, der ausdrückte, er könne es nicht abwarten, Toy auf dem elektrischen Stuhl zu sehen. »Nun ja, es stimmt wohl, was die Leute hier in der Gegend sagen. Ein Moses lügt nicht.«

40
    Calla trauerte.
    Sie trauerte um Swan und um alles, was sie verloren hatte, und wegen allem, was ihre Enkelin über das Leben erfahren hatte, was eigentlich niemand erfahren sollte, weil so etwas eigentlich niemals geschehen durfte. Sie trauerte um Blade, weil auch er zu den Verlierern gehörte. Er würde nie mehr das Gefühl haben, zu ihnen zu gehören. Vielleicht würde er nie mehr das Gefühl haben, überhaupt irgendwo dazuzugehören. Sie trauerte um Bienville und Noble, weil auch deren Welt in Scherben lag, und um Samuel und Willadee, die versuchen mussten, alles wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Calla konnte sich nicht vorstellen, dass je wieder irgendetwas einfach sein würde.
    Und sie trauerte um Toy.
    Als Samuel aus der Stadt zurückgekommen war und ihr die Geschichte erzählt hatte, die ihm, wie sie wusste, mehr als nur zuwider war, hatte sie sich schwerfällig auf einen Stuhl sinken lassen, die Hände gerungen und dann immer wieder ihren Ehering am Finger hin und her gedreht.
    »Ich geh morgen noch mal hin«, versprach Samuel. »Ich werd so lange hingehen, bis mir endlich jemand zuhört.«
    Sie wusste, dass er das tun würde, aber
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