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Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: Die Germanen: Geschichte und Mythos - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Norbert F. Pötzl
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römische Lebensweise im Barbarenland.
    SPIEGEL: Wie soll man sich das denken?
    Meier : Im heutigen Moldau, weit entfernt von der römischen Grenze, hat man eine Ansiedlung des 4./5. Jahrhunderts ausgegraben, die von Säulen eingefasst ist. Tief im Barbaricum baut sich also jemand sozusagen eine römische Villa nach. Wohl ein Einheimischer, der im Süden reich geworden war – vielleicht als höherer Offizier – und nach der Rückkehr auch daheim sein Römertum pflegen wollte. Der Säulenschmuck steigerte sein Ansehen vor Ort natürlich gewaltig.
    SPIEGEL: Fremdbilder, Kontakte – schön und gut, aber was glaubt man heute über die Germanen selbst noch zu wissen?
    Meier : Es war eine Gesellschaft aus Freien und Unfreien, in denen hier und da jemand eine Führungsrolle spielte und Gefolgschaft um sich sammelte. Man lebte bäuerlich, in kleinen Siedlungen, von Viehzucht und, auf eher bescheidenem Niveau, Ackerbau.
    SPIEGEL: Nirgendwo ein König?
    Meier : In der Spätantike kann das schon vorkommen. Jedenfalls taucht das lateinische Wort »rex« auf, was immer es konkret bedeuten mag.
    SPIEGEL: Wie können arme Viehzüchter so unentwegt kriegerisch sein, wie Tacitus und andere sie schildern?
    Meier : Cäsar, Tacitus und ihre Kollegen folgen dem Repertoire dessen, was in der Antike von barbarischen Völkern behauptet wird: Sie seien wild, primitiv, kräftig und angriffslustig, aber auch feige, schnell erschöpft, disziplinlos und so weiter. Dass es Unruhen und Krieg mit ihnen gab, liegt einfach in der Natur der riesigen Grenze, die ja ein enormes Zivilisationsgefälle bezeichnet. Interne Rivalitäten und Zusammenstöße gab es unter den Kelten, unter den griechischen Stadtstaaten und anderswo auch, das ist nichts speziell Germanisches.
    SPIEGEL: Wollen Sie die Germanen zu ganz normalen Landeiern erklären? Rom ist doch beeindruckt und entsetzt von der Kampfkraft dieser Menschen – seit dem 2. Jahrhundert vor Christus bis in die Spätantike muss die Supermacht Niederlagen einstecken.
    Meier : Allerdings, die Römer waren hochnäsig und büßten es, immer wieder. Bei genauem Blick auf die Quellen erkennt man zum Beispiel, dass die Gegner meist keineswegs so unorganisiert antraten, wie das die römische Propaganda stereotyp verkündet.
    SPIEGEL: Lernten die Germanen, sich auf den Gegner einzustellen? Spionierten sie Schwächen und Strategien aus?
    Meier : Kundschafter hatten sie mit Sicherheit schon früh. Für die Spätantike sind Spionageaktionen gut bezeugt. An Grenzen findet man auch immer wieder Überläufer, und vor allem Händler leisteten gern Kundschafterdienste. Oder jemand verplappert sich einfach. Da gibt es den Fall eines entlassenen Legionärs, der sich irgendwo im Grenzgebiet niederlässt und im Beisein von Germanen versehentlich ausplaudert, dass das Imperium gerade den hoffentlich entscheidenden Schlag gegen die Goten vorbereitet.
    SPIEGEL: Pech für Rom. Und wie stellte sich das Imperium auf den Gegner ein?
    Meier : Epoche machend ist die Heeresreform seit etwa 260: Anstatt große Legionen in Lagern bereitzuhalten, die viel zu schwerfällig sind, teilt man das Heer in kleinere Einheiten auf. In Grenzkastellen liegen Besatzungen, die Limitanei. Daneben gibt es mobile Eingreiftruppen, die Comitatenses. Es geht zunächst um den Schutz Italiens. Konstantin vollendet diese Umstrukturierung.
    SPIEGEL: War der germanische Limes, der Grenzwall vom Rheinland bis weit hinunter an die Donau, untauglich geworden?
    Meier : Nein, er hatte seit Kaiser Domitians Kriegen gegen die Chatten am Ende des 1. Jahrhunderts gute Dienste geleistet und war danach immer weiter verstärkt worden. Dank fester Durchgänge, Posten und Marktorten ließen sich Verkehr und Handel in beiden Richtungen einigermaßen kontrollieren.
    SPIEGEL: Aber Rom räumte dann doch ein Gebiet hinter dem Limes. Ein Zeichen von Schwäche?
    Meier : Das geschah im 3. Jahrhundert, weil das von enormer Inflation gedrückte, anfällig gewordene Imperium einfach seine Grenzen verkleinern musste, wenn es sich genügend schützen wollte.
    SPIEGEL: Was hinderte da die Germanen, Rom direkt anzugreifen?
    Meier : Nun, es gab eben nicht die Germanen, es gab einzelne Gruppen mit jeweils eigenen regionalen Interessen.
    SPIEGEL: Innerhalb des Römischen Reiches lebten mittlerweile auch etliche Germanen.
    Meier : Und ob: In der Regel als kriegsgefangene Sklaven, einige Händler, wenige besonders kräftige auch als Gladiatoren oder Gardisten …
    SPIEGEL: … die vielleicht
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